2023: 'annus horribilis' oder Jahr der Hoffnung?

Andreas Feicht ist Vorstandsvorsitzender der Kölner RheinEnergie. Bild: RheinEnergie

„Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, und Messgröße muss sein, ob etwas direkten Nutzen für unsere Ziele hinsichtlich Dekarbonisierung und Klimaschutz stiftet“. Auch vor dem Hintergrund des jüngsten Verfassungsurteils, das zur politischen Haushaltskrise führte, blickt RheinEnergie-Vorstands-Chef Andreas Feicht in einem Gastbeitrag für den EID auf das zu Ende gehende Jahr 2023 – und darüber hinaus.

Das Jahr 2023 ist zu Ende, mancher fragt sich, was es aus Energiesicht eigentlich für ein Jahr gewesen ist? Ein Jahr der Hoffnung, des Aufbruchs?

Wir haben es begonnen mit einer Phase der Unsicherheit und des Zitterns, ob die Energiereserven reichen werden, uns über den Winter zu bringen. Wir haben es fortgesetzt mit einer recht plötzlich aufkommenden Debatte um den richtigen Rechtsrahmen für die dringend nötige Wärmewende. Das „Gebäude-Energie-Gesetz“, bei den Menschen schnell einfach Heizungsgesetz genannt, hat uns etwas deutlich vor Augen geführt, was viele vorher nicht wissen wollten: Es kommt am Ende auf uns alle an. Vorbei war es mit dem Glauben, dass es allein die Energiewirtschaft richten wird, und dass es reicht, pünktlich seine Stromrechnung zu bezahlen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung machte deutlich: Wer künftig eine warme Wohnung will, der muss selbst seinen Beitrag zur Wärmewende leisten. Leider lief die Debatte in die völlig falsche Richtung, und plötzlich galt nur derjenige als guter Mensch, der sich eine Wärmepumpe vor die Tür stellt. Dabei ist so eine Wärmepumpe nur ein unschuldiges Gerät. Es steht da und möchte das Haus erwärmen, sonst nichts. Die Wärmepumpe wurde nun auf einmal zu einem Symbol, und das hat weder ihr noch der Sache gutgetan.

Die Sache ist nämlich: Vor uns steht immer noch diese gewaltige Transformationsaufgabe, die mit den Schlagworten Wärmewende, Dekarbonisierung, Klimaneutralität oder Klimaschutz beund umschrieben wird. Sie ist wirklich gewaltig, und wir alle haben gehörigen Respekt vor ihr.

„Die Gestaltung der Wärmewende ist eine herausragende Chance, die die Politik uns da auf den Elfmeterpunkt gelegt hat.“

Ich empfinde sie so, dass insbesondere die Gestaltung der Wärmewende aktuell eine herausragende Chance ist, die die Politik uns da auf den Elfmeterpunkt gelegt hat. Natürlich mit enormen technischen Herausforderungen: beispielsweise, wenn wir die Fernwärme in großen Städten wie bei uns in Köln dekarbonisieren wollen. Das heißt vor allem, viel Netz zu bauen – wir bauen zusätzlich zu den 380 Kilometern Fernwärme, die wir bereits haben, im ersten Schritt bis 2035 gut 200 Kilometer hinzu. Das sind große Rohre, die wir mit enormen Kosten in die Erde legen müssen. Aber vor allem wollen wir die Erzeugung dekarbonisieren. Bisher haben wir großenteils Gas und Kohle verbrannt, um daraus Wärme und Strom zu produzieren, jetzt werden wir Großwärmepumpen bauen und deren Wärme gleich in ganze Netze speisen. In anderen Städten ist es Tiefengeothermie. Wir können Solarthermie errichten. Und diese ganzen Erzeugungsanlagen können wir zudem gegeneinander optimieren. Oder auch mit Altbewährtem kombinieren.

Denn was mir ein ganz wichtiges Anliegen ist: auch den bestehenden Kapitalstock zu nutzen, beispielsweise bestehende Gaskraftwerke dekarbonisieren, indem wir dort Wasserstoff einbringen. Wir bei der RheinEnergie haben gemeinsam ein Projekt in Wien, mit Wien Energie und Siemens Energy: Ein Kraftwerk, das wir in Köln stehen haben, steht praktisch baugleich in Wien. Gemeinsam erproben wir jetzt, wie viel Wasserstoff wir im laufenden Produktionsbetrieb als Brennstoff dort hineinspeisen können. Gelingt es uns, solche Bestandsanlagen zu dekarbonisieren, so erreichen wir nicht nur ökologisch, sondern auch volkswirtschaftlich einen hohen Nutzen. Das ist technisch ein großer Akt – und hat am Ende auch etwas mit Kapitalkraft zu tun. Deswegen gehört wirtschaftliche Resilienz aus meiner Sicht zu einer der Tragsäulen einer Unternehmensstrategie für die Zukunft.

Wie wichtig dieses Thema gerade ist, das sehen wir aktuell zum Ende des Jahres 2023 an der Ratlosigkeit, die allerorten nach dem Verfassungsgerichtsurteil zur Verschiebung der Haushaltsmittel der Bundesregierung  herrscht. Es ist leicht, auf das Gericht zu schimpfen, das vermeintlich mit seinem Spruch jetzt alles blockiert hat. Das ist auch unfair, denn die Fehler sind vorher woanders passiert. Es ist jetzt auch müßig zu jammern,
wir müssen nach vorne schauen und sehen, dass wir andere Wege zum Ziel finden.

„Wenn Erdkabelbau im Transportnetz drei Mal so teuer ist wie eine Freileitung, dann sollten wir auf die Freileitung setzen.“

Für mich persönlich war es auch schon vor dem Urteil eine klare Sache, dass wir uns beim Umbau und Ausbau unserer Infrastruktur strikt auf das Wesentliche konzentrieren müssen: Wir haben aktuell weder Zeit noch finanzielle Ressourcen für unnötigen Luxus. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, und Messgröße muss sein, ob etwas direkten Nutzen für unsere Ziele hinsichtlich Dekarbonisierung und Klimaschutz stiftet. Wenn Erdkabelbau im Transportnetz drei Mal so teuer ist wie eine Freileitung, dann sollten wir auf die Freileitung setzen. Das wäre vernünftig. Dreifache Kosten ohne technischen Vorteil sind es nicht.

Jetzt, zum Jahresende, wissen wir noch nicht, wie die Regierung, wie die Politik es schaffen will, doch noch die nötigen Mittel für die notwendige Transformation freizumachen. Die Folgen, wenn es nicht klappt, spüren wir alle: Steigende Netzentgelte, wegfallende Fördertöpfe, fehlender Gestaltungsspielraum.

Abseits von Technik und Geld müssen wir in der jetzigen sensiblen Phase allerdings noch ein weiteres Thema im Auge behalten: Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen oder zu behalten. Wir sind leider in einer Phase des akuten Vertrauensverlustes gegenüber staatlichen oder politischen Institutionen. Machen wir uns nichts vor: Auch wir als Stadtwerke, als kommunale Einheiten, gelten bei manchen als eine Sphäre des Staates im weitesten Sinne, auch wenn wir uns selbst nicht als staatliche Institutionen verstehen. Aber die Menschen sagen: „Ihr seid der Versorger, gebt mir eine Lösung!“

Das heißt, es gilt, eine Lösung zu erarbeiten in einer Zeit, in der offensichtlich der Kulturkampf wieder um sich greift, in der Misstrauen herrscht gegenüber dem, was geschehen soll. Das ist aus meiner Sicht die größte Herausforderung in dieser Phase der Transformation. Wenn wir an die Mammutaufgabe der Erstellung der Kommunalen Wärmeplanung und der Energienutzungspläne in den kommenden zwei bis drei Jahren denken: Dann wird es auf dieses Vertrauen ankommen – das Vertrauen darauf, dass wir es als die Stadtwerke vor Ort, verbunden mit den großen Erzeugern und den Netzbetreibern aller Ebenen, richten werden. Dass wir Voraussetzungen
schaffen für die Menschen, die am Ende nichts haben möchten als eine warme Wohnung, in der sie mit Energie alles das machen können, was sie wollen – und dass es am Ende bezahlbar bleibt.

Das ist die Lehre, die wir aus dem Jahr 2023 ziehen können: Wir müssen die Menschen mitnehmen, wir dürfen sie keinesfalls überfordern. Auch wenn das mitunter etwas mehr Zeit erfordert, als es sich manche Aktivisten vorstellen.

Artikel von Andreas Feicht
Artikel von Andreas Feicht