Dank günstiger Erzeugungspreise für die Photovoltaik ist Portugal prädestiniert, grünen Wasserstoff für Europa zu produzieren. Das Projekt Green Flamingo will das umsetzen. Und die Seehäfen Rotterdam und Sines bereiten sich darauf vor.
Geht es um Sonne und Meer, gehört Portugal für viele europäische Touristen zu ersten Wahl. Künftig könnten Sonnenreichtum und Atlantik auch Europas Wasserstoffwirtschaft anlocken. Denn das südwesteuropäische Land hat das Potenzial, zu einem wichtigen Versorger von grünem Wasserstoff für Europa zu werden. Als erste EU-Nation haben das die Niederlande erkannt und deshalb mit Portugal Mitte September eine Kooperationsvereinbarung für grünen Wasserstoff geschlossen. Die beiden Seehäfen Rotterdam und Sines haben nachgezogen, um das Öko-Gas künftig auf dem Seeweg von Portugal in den Nordseehafen zu verschiffen. Von dort könnte es über den Rhein zu Verbrauchern in Deutschland gelangen. Zur Produktion des Wasserstoffs soll bei dem portugiesischen Hafen eine Elektrolyseleistung im Gigawattmaßstab entstehen - versorgt mit heimischem Solarstrom.
Marc Rechter kümmert sich schon länger um diese Vision. Der Niederländer verfolgt mit seiner Seine in Lissabon ansässigen Firma Resilient Group das Projekt Green Flamingo. Ziel ist die künftige Versorgung mit grünem Wasserstoff. Die EU stuft dies als ICPEI („important project of common european interest“), also als Projekt ein, das von besonderem Interesse für die Gemeinschaft ist.
„Es geht darum, in Europa Kapazitäten für grünen Wasserstoff aufzubauen, bevor wir uns alleine auf Importe aus Afrika verlassen“, so Rechter. Deutschland etwa plant, grünen Wasserstoff aus Marokko und Tunesien zu importieren. Das sei per se nicht verkehrt, sollte aber nicht die alleinige Strategie sein. Für Portugal spreche zum Beispiel die hohe solare Einstrahlung. Diese ermöglicht sehr niedrige Erzeugungspreise für die Photovoltaik, wie die jüngste Auktion neuer Solarkapazitäten zeigte. Diese sorgte mit nur 11 Euro je Megawattstunde (MWh) Solarstrom für den bisher günstigsten Abschluss in ganz Europa und der Welt.
Nachhaltig und notwendig sei ein solches Preisniveau angesichts von Großhandelspreisen von aktuell rund 40 Euro je MWh derzeit aber noch gar nicht. „Bei einem Cent pro Kilowattstunde (kWh) Solarstrom verdienen die Stromerzeuger kaum noch Geld“, sagt Rechter. „Stattdessen drücken sie die Lieferanten und Entwickler. Das ist ungesund, denn wir müssen in Europa eine eigene Industrie für grünen Wasserstoff und für Photovoltaik aufbauen und wiederbeleben, um nicht von der Zulieferung aus China und anderen Staaten abhängig zu sein.“ Bei Preisen von aktuell auskömmlichen zwei bis drei Cent je kWh Solarstrom sei das durchaus möglich. Und 2030 werde die Solarstromerzeugung dann auch tatsächlich für ein bis zwei Cent wirtschaftlich werden. Rechter kennt sich mit Solarstrom aus. Seine Firma betreibt seit 2017 im Hinterland der Algarve ein Demonstrationsprojekt mit konzentrierter Photovoltaik und einer installierten Leistung von 4 MW. Das Vorhaben ist Teil mehrerer EU-Forschungsprojekte aus dem Horizon 2020-Programm.
Billiger Solarstrom ist auch eine Voraussetzung, um Wasser in ausreichendem Maße zur Verfügung zu haben. Denn pro Kubikmeter Wasserstoff benötigt die Elektrolyse etwa sechs Liter Wasser. Trinkwasser kommt für niederschlagsarme Länder wie Portugal nicht in Frage. Dafür der Atlantik. Es geht also um den Aufbau von Anlagen zur Meerwasserentsalzung. „Der Strom ist dafür der entscheidende Kostenfaktor“, sagt Rechter. Ansonsten sei die Technologie reif und einsatzbereit.
Rechter erwartet, dass die Kosten für Elektrolyseure sehr schnell fallen werden. Bis 2030 sei ein Land wie Portugal in der Lage, grünen Wasserstoff „absolut wettbewerbsfähig“ zu produzieren - verglichen mit grauem Wasserstoff aus Erdgas, aber auch „blauem“, bei dem der Kohlenstoff der fossilen Quelle entzogen wird. Rechter warnt deshalb: „Bei blauem Wasserstoff drohen Investitionsruinen. Grüner wird günstiger zu produzieren sein.“
Wichtig sei zudem, dass Europa eine eigene Industrie für Elektrolyseure und Solarmodule aufbaue. Außerdem müsse die Politik die Weichen stellen für den Einsatz im Verkehr und im Gasnetz. Dem trägt die nationale Wasserstoffstrategie Portugals Rechnung. Sie setzt zum Beispiel auf Brennstoffzellenbusse wie sie Portugals Busunternehmen Caetano in Kooperation mit Toyota entwickelt.
Die EU hat im Juli ihre Wasserstoffstrategie vorgestellt. Sie sieht vor, bis 2030 in Europa eine Elektrolyseur-Leistung von 40 Gigawatt (GW) aufzubauen. Dazu sollten noch einmal 40 GW außerhalb Europas kommen, um den Bedarf decken zu können.
Das Projekt Green Flamingo will zu den Plänen innerhalb Europas fünf GW beisteuern, davon 1 GW in Portugal. Das Land selbst will laut seiner nationalen Wasserstoffstrategie bis 2030 rund 2 GW aufbauen. 5 GW sollen es 2050 sein.
Derweil schreitet der Aufbau in Sines voran. 2023 soll dort der erst grüne Wasserstoff produziert werden. Um das Gas auch in seinem vorhandenen Netz verteilen zu können, plant Portugal, den Anteil von Wasserstoff im nationalen Erdgasnetz von aktuell 1 auf 15 Prozent bis 2030 zu erhöhen.
Offen ist noch die Technologie, mit der das flüchtige Gas transportiert werden soll. Neben der Möglichkeit der Verflüssigung wie beim Erdgas zu LNG lässt sich Wasserstoff auch mit Ammoniak an einen organischen Träger binden. Noch sei darüber nicht entschieden, heißt es beim Hafen Rotterdam auf Anfrage des EID. Die Niederländer verfolgen mehrere Wasserstoffimportvorhaben. So gibt es eine Kooperation für Wasserstoff aus Island. Auch mit dem Hafen von Oman sei man dazu im Gespräch.
In Portugal setzt die Regierung auf Ammoniak. Das legt die nationale Wasserstoffstrategie nahe. Für Marc Rechter macht dies auch Sinn, weil das die nächsten 5 bis 10 Jahre günstiger als die Verflüssigung ist. Doch was vor allem wichtig bleibt: „Europa muss jetzt loslegen, damit wir 2030 hier wirklich eine wettbewerbsfähige Industrie aufgebaut haben.“ Vor allem für von der aktuellen Coronakrise gebeutelte Staaten wie Portugal stellt das eine große Chance dar.