Immer mehr Unternehmen nutzen die Möglichkeit, große Datenmengen mittels KI-basierten Lösungen zu managen. Der EID sprach mit den Stadtwerken Kiel über den Einsatz und die Anwendungsbereiche von Künstlicher Intelligenz.
Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug in die Energiewirtschaft. Die Einbindung von volatil erzeugenden erneuerbaren Energien und vielen dezentralen Einheiten sowie eine wachsende Anzahl von Elektro-Autos und Wärmepumpen bringen immer mehr Komplexität ins System. Es gilt, große Datenmengen und -ströme zu beherrschen und zu managen sowie möglichst optimal zu nutzen. Dank technologischer Fortschritte der letzten Jahre können auf KI basierende Anwendungen inzwischen dabei helfen. Entscheider aus der Industrie adressieren den Einsatz von Künstlicher Intelligenz mittlerweile als Top-Thema. Laut einer Studie des IT-Dienstleisters Adesso aus dem vergangenen Jahr hat mehr als die Hälfte der befragten Führungskräfte den Einsatz von KI ganz oben auf die Prioritätenliste noch vor Themen wie zunehmender Kostendruck gesetzt.
Zum Einsatz kommt KI inzwischen in verschiedenen Anwendungsfeldern. So verwendet E.ON Künstliche Intelligenz bei Netzsteuerung, dem Betrieb von Windparks, bei Wartung oder auch im Kundenservice, während man bei Uniper KI u.a. zur optimierten Steuerung von Kraftwerksanlagen nutzt. Inzwischen greifen auch immer mehr kommunale Unternehmen wie die Stadtwerke Kiel auf Künstliche Intelligenz zurück. Der schleswig-holsteinische Versorger arbeitet mit dem Kieler Datenspezialisten Clarifydata zusammen, um KI-unterstützt Vertriebspotenziale zu heben und die Kundenansprache zu optimieren. Der EID sprach mit Kai Kistenmacher, dem Leiter für Privat- und Gewerbekunden bei den Stadtwerken Kiel, über den Einsatz und die Anwendungsbereiche der KI-Anwendung.
EID: Die Stadtwerke Kiel setzen bereits seit einiger Zeit auf KI-basierte Lösungen. Wie kam es dazu?
Kistenmacher: Wir haben tatsächlich bereits 2018 damit begonnen, uns darüber Gedanken zu machen, wie wir die Prozesse im Vertrieb und insbesondere im Kundenservice optimieren können. Der Wunsch war, die Servicemitarbeiter bei den bis zu 1.000 täglichen Telefongesprächen effektiv zu unterstützen. Die Anregung, den Kundenkontakt aus vertrieblicher Sicht effektiver zu gestalten, kam dabei vom Kundenservice selbst. Wir wollten die Kundenansprache individuell gestalten können, um gezielt auf unsere Services und Angebote hinzuweisen. Dies erfolgte in der Vergangenheit durch einen Leitfaden zu sämtlichen vertrieblichen Optionen, die auf einem laminierten DIN-A4-Blatt zusammengefasst und dem Kundenservice an die Hand gegeben wurden. Was im Telefonat tatsächlich angesprochen wurde, haben unsere Mitarbeiter spontan entschieden, je nachdem, wie das Kundengespräch verlaufen ist und welche Themen relevant waren. Dieses Vorgehen wollten wir verbessern.
EID: Und sich dabei durch eine neue Technologie helfen lassen …
Kistenmacher: Tatsächlich entstand in der Diskussion unter anderem mit Clarifydata die Idee, ein technisch unterstütztes Vorgehen zu entwickeln, das es dem Kundenservice einfacher macht und das nach bestimmten Regeln bzw. KI-Kriterien gesteuert wird. Die Kundenansprache wird dadurch erheblich effizienter. Einen Kunden, den man bereits für das eigene Grünstrom-Produkt gewonnen hat, sollte man nicht noch einmal auf das Angebot aufmerksam machen. Stattdessen arbeiten wir seit gut anderthalb Jahren nach dem Prinzip Next Best Action bzw. Next Best Activity, intern auch „Beratungsfokus“ genannt, was aber das gleiche meint. Es bedeutet, dass bei jedem Kundenkontakt digital hinterlegt auf den ersten Blick sichtbar wird, welche Themen aus vertrieblicher Sicht angesprochen werden sollten, sofern es zeitlich oder inhaltlich platziert werden kann.
EID: Wo genau kommt hierbei die künstliche Intelligenz zum Einsatz?
Kistenmacher: Die KI kommt auf dem Weg dahin zum Tragen. Wir machen wöchentlich sehr umfangreiche Daten-Reports, die wir dem Dienstleister pseudonymisiert zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass konform zum Bundesdatenschutzgesetz der Nachname oder ein anderes Identifikationsmerkmal ersetzt wird und es dem Dienstleister nicht möglich ist, die Daten einer bestimmten Person zuzuordnen. Die KI übernimmt dann die Aufgabe, nach abgestimmten Regeln und Algorithmen zum Beispiel parallele Kundentypen zu identifizieren. Das können als Beispiel Kunden zwischen 20 und 40 Jahren mit Familie und Kindern sein, die sich für Ökostrom und Nachhaltigkeitsthemen interessieren und damit auch für nachhaltige Produkte, die wir ihnen anbieten können. Und aus der Vielzahl dieser Daten, die dem Anbieter vorliegen, sucht das System nach Datenzwillingen und bestimmten Mustern, die dafür sprechen, dass andere Kunden ähnlich handeln würden. All dies fließt als ein Baustein mit ein in die Empfehlung in einem Beratungsgespräch.
EID: Setzen Sie die derart optimierte Kundenansprache bei allen Kundengruppen ein?
Kistenmacher: Tatsächlich nutzen wir die Technologie derzeit zumeist bei Privatkunden. Bei Gewerbekunden wollen wir die KI-basierte Anwendung aber ebenfalls einsetzen. Wir prüfen aktuell, was wir aus dem Privatkundenbereich übertragen und wie wir bestimmte Gewerbekundenspezifika anpassen und ausbauen können. Noch in diesem Frühjahr wollen wir soweit sein.
EID: Bemerken die Kunden etwas von der technologischen Innovation?
Kistenmacher: Dem Kunden wird wohl nicht auffallen, dass er gerade mit einem Servicemitarbeiter spricht, dessen Gesprächsleitfaden KI-basiert aufgebaut wurde. Für die Vertriebskollegen hingegen hat es den Vorteil, dass der Prozess ständig sichtbar, einfach und zuverlässig ist. Unsere Kunden profitieren dagegen von einem Gespräch, wo sie innerhalb von wenigen Minuten zielgerichtet auf ihre Bedürfnisse hin beraten werden. Wir sehen dies als ein Beispiel dafür, nicht mit der Gießkanne zu agieren, sondern fokussiert auf den Kunden einzugehen. Wenn der Kunde hinterher ein gutes Gefühl hat, dann hat es geholfen. Und wenn der Berater ebenfalls ein gutes Gefühl hat, dann hat es doppelt geholfen, und man hat eine Win-Win-Situation.
EID: Neben der positiven Bewertung eines Gesprächs spielt dennoch die wirtschaftliche Komponente eine Rolle. Haben Sie schon Zahlen und Erkenntnisse gesammelt?
Kistenmacher: Die datengetriebenen und automatischen Entscheidungen erhöhen zunächst die Effizienz und senken Prozesskosten. Grundsätzlich muss man berücksichtigen, dass wir uns nicht mittels Kaltakquise an Neukunden wenden, sondern Bestandskunden ansprechen, und ihnen aus dem vorhandenen Portfolio Produkte und Mehrwerte anbieten. Dabei geht es nicht immer um kostenpflichtige Produkte, sondern auch um Dienstleistungen oder Kundenbindungsprogramme, für die keine Entgelte anfallen. Das muss man bei den Quoten berücksichtigen, es geht nicht immer um einen Abschluss.
Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass wir jeden zweiten Kontakt für die von uns adressierten Themen aktivieren können. Im Kundenzentrum gelingt dies bereits, in der Telefonie ist das bislang noch nicht zu erreichen, da sind wir bei einem Drittel. Insgesamt hat uns die Größenordnung der Kunden überrascht, die sich beispielsweise von einer Online-Registrierung überzeugen lassen oder sich für eine Stadtmark-Münze entscheiden, durch die man Rabatte und Sonderkonditionen bei ausgewählten Partnern in der Region erhält. Ich führe dies tatsächlich auf die ‚Schlauheit‘ eines Systems zurück, durch das wir erfahren, welche Kunden sich in welchen Konstellationen wofür entschieden haben.
Darüber hinaus werden wir die aktuell besondere Lage am Energiemarkt analysieren und auswerten müssen. Dabei geht es um Fragen, welche Daten und Werte aktuell gesammelt werden und wie belastbar diese sind. Gibt es plötzlich Veränderungen im Hinblick auf das Wechselrisiko, die nicht ohne weiteres zu erklären sind? Vielleicht lernt die KI ja gerade auch falsch. Für diese Analyse muss man sich Zeit nehmen. Gegebenenfalls lassen sich Effekte beobachten, die der augenblicklichen Sondersituation geschuldet sind.
EID: Wollen Sie angesichts des Erfolgs das System weiterentwickeln?
Kistenmacher: Für uns wird die nächste spannende Frage sein, wie sich aus aktuellen Produkten und Mehrwerten schrittweise auch neue Angebote entwickeln lassen. Denn wenn wir uns strategisch die Welt in vier oder fünf Jahren vorstellen, dann werden wir sicher nicht nur Strom und Gas anbieten, sondern auch PV- und E-Mobility-Lösungen und Wallboxen, womit wir bereits begonnen haben. Hinzu kommt das Thema Wärme aufgrund der zu bewältigenden Klima- und Wärmewende. Wir werden durch neue Angebote und Dienstleistungen auf solche Themen reagieren und unser Portfolio erweitern. Die KI kann uns dabei helfen, beispielsweise Kunden zu finden, bei denen vielleicht das Thema Photovoltaikanlage gut platziert ist. Wir konnten in den letzten anderthalb Jahren das vertriebliche Ansprechen von Kunden mit bekannten Inhalten üben, die nächste Ausbaustufe wird sein, nach und nach neue Inhalte zu implementieren.
EID: Herr Kistenmacher, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Kai Kistenmacher ist Leiter für Privat- und Gewerbekunden der Stadtwerke Kiel