Hohe Strompreise bescheren den Betreibern alter Wind- und Solaranlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung gefallen sind, derzeit rosige Einnahmen. Welche Chancen sich daraus für die Direktvermarktung ergeben, erklärt Mike Kutzner, Leiter Key Account Management bei BayWa r.e. Energy Trading im EID-Interview.
EID: Die Terminmarktpreise an der Strombörse sind in den zurückliegenden Monaten auf Rekordwerte geklettert. Der Weiterbetrieb alter Ü20-Anlagen müsste deshalb derzeit wie geschnitten Brot laufen, oder?
Kutzner: Wenn wir gut anderthalb Jahre zurückblicken, dann liegen die Terminmarktpreise derzeit wirklich auf einem fantastischen Niveau. Im vergangenen Jahr haben wir über Vermarktungspreise von etwa 30 Euro pro Megawattstunde gesprochen, für 2022 sprechen wir von 80 bis 90 Euro/MWh. Für die Anlagenbetreiber sind das für den Weiterbetrieb wirklich gute Rahmenbedingungen, die ihnen Einnahmen verschaffen, mit denen sie vor wenigen Monaten noch gar nicht gerechnet hatten.
EID: Die große Rückbauwelle von alten regenerativen Anlagen, die noch vor gut zwei Jahren befürchtet worden ist, wird es nicht geben.
Kutzner: Eine solche Frage dürfte sich nur den allerwenigstens Altanlagenbesitzer stellen. Diese Betreiber treibt meist eine ganze andere Frage um.
EID: Und zwar?
Kutzner: Die Betreiber stehen bei den Verhandlungen für ein Weiterbetriebs-PPA vor der Entscheidung, ob sie sich für einen Festpreis oder eine Vergütung auf Basis der Marktwerte entscheiden,
EID: Und wohin neigt das Pendel?
Kutzner: Etwa 90 Prozent unserer Kunden entscheiden sich für die Festpreisvariante. Der kleinere Rest ist durchaus bereit, sich auf ein Pokerspiel einzulassen. Wohin die Reise bei den Spotpreisen, die maßgeblich für die Marktwerte sind, im Verlaufe des Jahres 2022 entwickeln, kann niemand seriös voraussagen. Aber viele Betreiber haben bereits den Deckel für 2022 darauf gemacht, bei ihnen laufen Überlegungen, wie sie sich für 2023 positionieren.
EID: Auch wenn Sie keine Glaskugel haben, dennoch die Frage: Von welchen Marktpreisen gehen Sie für 2022 und 2023 aus?
Kutzner: Ich erwarte, dass es in den bevorstehenden Wintermonaten bei dem derzeitig hohem Preisniveau bleibt. Allein die Auseinandersetzungen um North Stream 2 haben die Terminmarktpreise für das Q1 2022an einem Tag um mehr als 10 Euro ansteigen lassen. Daran sieht man, dass die Märkte derzeit sehr empfindlich reagieren. Wenn die Gasspeicher sich wieder füllen und wir einen milden Winter erleben sollten, dann besteht aber auch das Potential, dass sich die Preise vor allem am Spotmarkt wieder entspannen. Für 2022 sehen wir aktuell ein Festpreisniveau von rund neun Cent pro kWh und für 2023 schon „nur“ noch 7 Cent pro kWh. Derzeit beeinflussen viele kurzfristige Entwicklungen die Preisentwicklungen, für 2023 dominieren meines Erachtens eher fundamentale und politische Entscheidungen wie beispielsweise die neue Energie- und Klimapolitik der Ampel-Regierung.
EID: Das erste Betriebsjahr mit vielen Wind- und Solaranlagen, die aus der EEG-Förderung gefallen, liegt fast hinter uns. Wie fallen Ihre Erfahrungen mit diesen grünen Ü20-Kraftwerken aus?
Kutzner: Wir haben einige Schadensfälle bei den von uns unter Vertrag genommenen Altanlagen und auch ein eher schwächeres Windjahr erlebt. Diese Entwicklungen haben mit dazu geführt, dass wir unsere Risikoeinschätzung der Ü20-Windturbinen überarbeitet haben. So werden wir beispielsweise nicht mehr die komplette geplante Einspeisemenge mit einem Festpreis vergüten, sondern einen festen Anteil, der beispielsweise 80 Prozent der Planmenge beträgt und die restliche Menge über den Marktwert. Unter dem Strich fallen unsere Erfahrungen mit den Altanlagen positiv aus. Die Ü20-Anlagen haben sich meines Erachtens als veritable Ökostromstromerzeuger etabliert. Mit der Vermarktung dieser Anlagen leisten wir einen Anteil am Gelingen der Energiewende und die bei der Vermarktung erzeugten grünen Herkunftsnachweise sind bei Abnehmern sehr beliebt.
EID: Derzeit sind rund 5.000 MW regenerativer Kraftwerksleistung in der „Sonstigen Direktvermarktung“, sprich dieser Strom wird in der Regel über PPAs geliefert. Von welcher Vermarktungsmenge in der „Sonstigen Direktvermarktung“ gehen Sie für die kommenden Jahre aus?
Kutzner: Die Zahl wird auf jeden Fall nach oben gehen. Allein bei der Windenergie fallen bis 2025 jedes Jahr zwischen 2.000 und 3.000 Megawatt Leistung aus der EEG-Förderung, was alles potenzielle Mengen für Weiterbetriebs-PPAs sind. Außerdem steigen die ausgeförderten Solar-Mengen. Da steckt noch einiges an Musik drin.