Karlsruhe hat das politische Berlin erschüttert. Das Verfassungsgerichtsurteil, demzufolge die Umbuchung von Corona-Geldern auf Maßnahmen zum Klimaschutz nicht rechtens ist, hat einen gewaltigen Finanzierungs-Krater in der grünen Transformationswelt geschaffen. „Die Politik ist aufgefordert, schnell aufgrund des großen Vertrauensverlustes in der Industrie Antworten zu finden, wie die Transformation verlässlich finanziert werden kann. Wenn das nicht gelingt, dann droht ein Stillstand bei den Investitionen und bei zentralen Projekten der Transformation“, sagte Bernhard Osburg, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorstandsvorsitzender von Deutschlands größtem Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel. Sein Verband forderte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) "einen Transformationsgipfels noch in diesem Jahr".
An einem solchen Gipfel sollten den Vorstellungen der beiden Verbände zufolge Vertreter von Industrieverbänden, Gewerkschaften, Bundesländern und aus der Zivilgesellschaft teilnehmen. Der Gipfel solle dann eine Kommission für die Erarbeitung konkreter Lösungen einsetzen.
Für die deutsche Stahlindustrie bekundete Osburg, die Branche emittiere hierzulande rund ein Drittel des CO2 und sei damit zwar Teil des Klimaproblems, aber auf dem Weg nach vorn auch der größte Lösungshebel. „Hier können in Deutschland schon bis 2030 mehrere Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Dazu braucht es aber die Anschubfinanzierung, um einen Markt zu etablieren", so Osburg.
Schon vor dem Karlsruher Urteil habe die Branche sich nahe an einem Kipppunkt befunden, bedingt durch die hohen Strompreise, die die Wettbewerbsfähigkeit massiv beeinträchtigten. Osburg verwies darauf, dass die deutsche Stahlbranche in diesem Jahr nur noch rund 36 Millionen Tonnen an Produkten herstelle. Man komme von 42 Millionen Tonnen, es gebe also einen Rückgang von rund 15 Prozent. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, zumal im „Wirkzusammenhang der Stahlindustrie“ rund 4 Millionen Arbeitsplätze existierten und zwei Drittel der deutschen Exporte stahlintensive Güter seien.
Geklärt werden müsse etwa, wie es nun mit der europäischen IPCEI-Förderung weitergehe. Nur 6 der 45 Vorhaben seien bislang bewilligt. Bei 25 Projekten sei der vorzeitige Maßnahmenbeginn genehmigt worden, so dass auch schon im Vertrauen auf die Förderung investiert worden sei. Geklärt werden müsse auch, was die neue Sachlage für die Strompreise bedeute, über die erst vor wenigen Tagen eine Einigung zur Preiskompensation für die Industrie erzielt worden sei. Wichtig sei auch eine Antwort darauf, wie es beim Wasserstoffhochlauf weitergehe. „Ohne grünen Wasserstoff lässt sich auch die Transformation nicht gestalten“, so Osburg. „Ohne die gesamte Grundstoffindustrie zu transformieren, sind die für 2030 von der Regierung gesteckten Klimaziele nicht zu erreichen. Und ohne Transformation werden wir auch das Thema Wohlstand und Resilienz nicht absichern können."
Auch die Erneuerbaren-Industrie in Deutschland brauche zentrale Grundstoffe wie Stahl, kommentierte BEE-Chefin Simone Peter. Erneuerbare seien der Schlüssel für die Sicherung des Produktionsstandorts Deutschland. Dazu sei der Bürokratieabbau bei Planung und Genehmigung voranzutreiben. Investoren für die Erneuerbaren stünden über alle Branchen bereit. "Jetzt braucht es Klarheit über das Tempo des Ausbaus, die Leitplanken eines neuen Strommarkts, aber auch über die Stärkung der europäischen Wertschöpfung." Die Klimakrise und der internationale Wettbewerb würden nicht warten. „Wir können unseren Wohlstand langfristig nur sichern, wenn Investitionen in Innovationen und zukunftsfeste Technologien oberste Priorität haben“, hob Peter hervor.