Gaspreis-Krise: Britische Großkunden hoffen auf langfristiges Hedging

Bild: Equinor

Im Wettrennen um Alternativen zu russischen Gaslieferungen nach Europa setzen britische Unternehmen mit hohem Gasbedarf nun ihre Hoffnungen auf einen Megadeal mit Norwegen.

Auch in Großbritannien ziehen die Strom- und Gaspreise massiv an. Im Oktober wird der Preis, den der durchschnittliche britische Haushalt für Strom und Gas jährlich zu zahlen hat, um 80 Prozent auf 3.549 Pfund (umgerechnet 4.109 Euro) steigen. Die Regulierungsbehörde Ofgem warnt bereits vor weiteren Preissteigerungen und rechnet für das kommende Frühjahr mit einem Anstieg der durchschnittlichen Energiekosten auf 6.600 Pfund (7.642 Euro).

Jonathan Brearley, Vorstandschef von Ofgem, arbeitet derzeit mit der Industrie, Verbrauchergruppen und Behörden zusammen, um der künftigen Regierung in London Wege aus der Krise skizzieren zu können. Die britische Gasunternehmen hatten die Produktion im ersten Halbjahr 2022 um 26 Prozent ausgeweitet und denken über weitere Maßnahmen nach. Aus ihrem Lager kommt jetzt auch die Idee, mit der die Gasbeschaffung langfristig abgesichert werden kann. So soll geprüft werden, ob nicht für Gas ein großes langfristiges Hedging-Programm mit Ländern wie Norwegen oder Qatar möglich sei.

Das englische Wort Hedging umschreibt einen Vorgang, der im Geschäftsleben mit Wetten gleichzusetzen ist. Zwei Partner gehen eine Wette ein, wie sich ein bestimmter Preis, gleich ob für Gas, Öl oder auch Metalle und andere Rohstoffe, entwickeln wird. Sie einigen sich auf einen Mittelwert, zu dem die Kontrakte dann abgeschlossen werden. Der Abnehmer zahlt diesen Preis für die Dauer und den Umfang der Abmachung - gleich wie sich der jeweilige Marktpreis tatsächlich entwickelt. Sinkt der Marktpreis unter den Mittelpreis, dann verdient der Verkäufer. Steigt der Marktpreis dagegen über den Hedging-Preis hinaus, dann hat der Käufer einen Preisvorteil. Beide Partner bekommen aber jeweils eine hohe Planungssicherheit. In der Praxis ist Hedging weit verbreitet. Die meisten Fluggesellschaften und Reedereien kaufen den größeren Teil ihres Treibstoff-Bedarfs im Rahmen von Hedging-Verträgen ein. In der metallverarbeitenden Industrie gibt es ähnliche Modelle.

Hedging ist also im Prinzip nichts Neues. Was allerdings an den britischen Überlegungen neu ist, das sind die Definitionen der Partner. Bei Öl und Gas ist als Partner auf der Verkaufsseite an den Exporteur Norwegen gedacht. Auf der Käuferseite sind es gleichzeitig mehrere große Abnehmer in Großbritannien. Dass in Großbritannien in diesem Zusammenhang vor allem an Norwegen gedacht wird, ist einfach zu erklären. Je weniger Gas von Russland nach Westeuropa geliefert wird, desto stärker ist Gas vom größten westeuropäischen Produzenten - sprich Norwegen - gefragt. Das skandinavische Land verdient an dieser Entwicklung blendend. 2021 spülte dies für Öl und Gas insgesamt Einnahmen von knapp 30 Milliarden Euro in die norwegischen Staatskassen. Im Mai dieses Jahres, als der Ukraine-Krieg noch keine drei Monate lief, ging die norwegische Regierung für 2022 schon von 100 Milliarden Euro Einnahmen aus. Bei einer Bevölkerung von nur rund 5,4 Millionen Menschen entspricht das einer Pro-Kopf-Einnahme von immerhin 18 000 Euro im Jahr.

Zu den sich daraus ableitenden Überlegungen gehört in Großbritannien die Idee, mit Norwegen einen langfristigen Hedging-Kontrakt einzugehen. Das würde kurzfristig die norwegischen Einnahmen zwar schmälern, langfristig aber für die Norweger eine sichere Basis für stabile Einnahmen sein. Die erste Frage ist, was für ein Zeitraum für ein solches Hedging in Frage käme. Während Hedging-Kontrakte nur selten über mehrere Jahre laufen, denken die Briten in diesem Fall immerhin an eine Frist von 15 Jahren. Die nächste Frage zielt auf den Hedging-Preis ab. In Großbritannien wird dabei, soweit es um Öl geht, von 150 bis maximal 200 Dollar je Barrel (zu 159 Litern) gesprochen. Für die Öl-Abnehmer wäre das ein anfangs schwer zu akzeptierender Preis. Für die Norweger bedeutet es zugleich eine Begrenzung des Preis-Wachstums, die sich im Laufe der genannten 15 Jahre allerdings ein einen handfesten Vorteil entwickeln könnte. Außer der rein wirtschaftlichen Seite ist für Norwegen allerdings auch der politische Aspekt von Bedeutung. Das Land würde helfen, die europäische Wirtschaft in Zeiten einer extremen, energiepreisbedingten Inflation zu stabilisieren. Zugleich würde vom Nato-Land Norwegen auch die Ukraine profitieren. Bisher laufen alle derartigen Gespräche auf nicht-offiziellen Ebenen, etwa im Rahmen der European Free Trade Association (EFTA). Der Abschluss eines solchen Deals ist erst mit einer neuen Regierung möglich.

Artikel von Katharina Otzen
Artikel von Katharina Otzen