Im Vorfeld des jüngsten Offshore-Gipfels in Ostende haben europäische Gas-FNBs eine eigene „Nordsee-Erklärung“ verabschiedet. Ihr Ziel ist ein gemeinsames europäisches Offshore-Wasserstoffnetz.
Es war ein großer Auftritt in Ostende (Belgien) am 24. April. Die Regierungschefs und Energieminister von acht Nordseeanrainer-Staaten und Luxemburg trafen sich in Ostende. Mit ihrem zweiten Nordsee-Gipfel wollten sie ihre vor einem Jahr im dänischen Esbjerg getroffenen Vereinbarungen zur koordinierten Entwicklung von Offshore-Windparks in der Nordsee bekräftigen und erweitern. 120 GW Erzeugungskapazität werden in der Ostende-Erklärung der Energieminister als Ziel für 2030 genannt, bis 2050 sollen es dann schon 300 GW sein. In der Esbjerg-Erklärung wurde als Ziel für 2030 noch eine Kapazität von 65 GW angestrebt. Die Dynamik der Entwicklung lässt sich aber auch daran erkennen, dass an der Esbjerg-Erklärung lediglich vier Staaten (Dänemark, Belgien, die Niederlande und Deutschland) beteiligt waren. Die Erklärung hatte denn auch lediglich zwei Seiten. Acht Seiten enthält die neue Erklärung, die für jedes Land die geplanten Kapazitäten und weiteren Projekte auflistet, damit die Nordsee zum „grünsten Kraftwerk der Welt“ werden kann, so wird der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo im „Spiegel“ zitiert.
Bundeskanzler Olaf Scholz erwähnte in einem Pressestatement auf dem Gipfel nicht nur die Produktion von Windenergie, sondern auch die Nutzung von Wasserstoff. Schon die Esbjerg-Erklärung enthielt das Ziel, onshore und offshore 20 GW grünen Wasserstoff bis 2030 zu produzieren. In der Ostende-Erklärung nennt der größere Kreis der Länder ein Ziel von 30 GW bis 2030. Anders als die Kapazitätsziele für die Offshore-Windparks finden sich in den Projektauflistungen allerdings kaum Hinweise auf festumrissene Projekte, bei denen direkt im Offshore-Windpark Wasserstoff erzeugt wird. Konkret – mit einer Leistung – wird allein das deutsche Demonstrationsprojekt in der Flächenzone SEN-1 aufgeführt. 1 GW Offshore-Elektrolyse sollen entstehen. Die ersten Ausschreibungen sind für dieses Jahr geplant. Zudem arbeiten die Niederländer an einem „Offshore Energy Infrastructure Plan“, der für die Zeitspanne 2030 bis 2050 Kapazitätsziele für Offshore-Wind und Offshore-Wasserstoff enthalten soll. Die Niederländer planen zudem bis 2031 zwei kleinere Demonstrationsprojekte, die Basis einer anschließenden Skalierung der Offshore-Wasserstoffproduktion in den Gigawatt-Bereich sein sollen. Die Deklaration enthält aber einen Abschnitt, in dem die Unterzeichner-Staaten versichern, bei der Entwicklung von Energie-Knotenpunkten zu untersuchen, wie sich die Onshore- und Offshore-Produktion von Wasserstoff fördern lässt und welche möglichen Synergien durch eine Kooperation bei der Offshore-Erzeugung und dem Transport von Wasserstoff entstehen können.
Neun europäische Fernleitungsnetzbetreiber, darunter von deutscher Seite die beiden Gesellschaften Gascade und OGE, sehen in der Entwicklung eine große Chance, in der Nordsee ein gemeinsames europäisches Offshore-Wasserstoffnetz zu bauen, einen Offshore-Backbone analog zum geplanten Onshore-Backbone, der die EU-Mitgliedsstaaten verbinden soll. Im Vorfeld des Ostende-Gipfels haben die FNBs deshalb eine eigene „Nordsee-Erklärung der Gas-FNBs“ verabschiedet. Die Ostende-Erklärung dokumentiere, dass gegenüber Esbjerg die Ambitionen größer werden, erläuterten Sabine Augustin, Leiterin Unternehmensentwicklung, Politik & Kommunikation bei OGE, und Dennis Wehmeyer, bei Gascade verantwortlich für den Bereich Wasserstoff und Nachhaltigkeit, dem EID. „Die Wasserstoff-Netze unterstützen dabei, grüne Energie aus der Nordsee nutzbar zu machen und zum Kunden zu bringen“, ergänzte Augustin und nannte damit einen Grund für die eigene Initiative der neun FNBs. Die Offshore-Produktion von Strom und Wasserstoff sei politisch eine neue Dimension und habe den Vorteil einer höheren Versorgungssicherheit, betonte auch Wehmeyer. Beide versicherten, die Idee eines Offshore-Backbones zum Wasserstofftransport werde auch von den Übertragungsnetzbetreibern geteilt. Insgesamt seien rund 100 Industriepartner in die Ostende-Erklärung mit eingebunden. Diese Partner arbeiten in gemeinsamen Arbeitsgruppen an Vorschlägen für einen gemeinsamen Rechts- und Regulierungsrahmen.
In Ostende hat es auch Gespräche zwischen den Akteuren der Politik und den Industrievertretern gegeben. Auch der Exekutivdirektor der Internationalen Energie-Agentur (IEA), Fatih Birol, war vor Ort und hat die Expertise der Organisation mit eingebracht. In einer Pressemitteilung anlässlich der Veröffentlichung der FNB-Erklärung betont Gascade-Geschäftsführer Christoph von dem Bussche: „Wir brauchen zeitnah eine integrierte, länderübergreifende Netzplanung für die künftige Nutzung der Offshore-Windenergie für die Strom- und Wasserstofferzeugung. Bis 2030 könnte ein Offshore-Wasserstoff-Backbone Windparks in der Nordsee mit Norwegen, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien verbinden.“
Gascade plant konkret mit dem belgischen Fernleitungsnetzbetreiber Fluxys das Offshore-Pipeline-Projekt Aquaductus, das zunächst die Anbindung eines neuen Windparks vor Helgoland ermöglichen und danach sukzessive erweitert werden soll, um als Sammelpipeline von verschiedenen Produzenten Wasserstoff einzusammeln. Für das Projekt wurde der Status als Projekt im gemeinsamen Interesse beantragt (PCI). Das Aquaductus-Projekt wartet aber auch noch auf die Bestätigung der EU-Kommission als IPCEI-Projekt (wichtiges Projekt im gemeinsamen europäischen Interesse). Für OGE ist aktuell vor allem die Anbindung geplanter Wasserstoff-Infrastrukturprojekte in Deutschland an Offshore-Pipelines interessant. „OGE und RWE haben das nationale Infrastrukturprojekt H2ercules entwickelt, das Verbraucher im Süden und Westen Deutschlands mit grünem Wasserstoff aus heimischer Produktion und über Importrouten versorgen soll“, erläuterte Jörg Bergmann, Sprecher der OGE-Geschäftsführung, in der schon genannten Pressemitteilung.
Die ökonomische Sinnhaftigkeit eines europäischen Offshore-Backbones hatte Gascade von DNV-Beratern analysieren lassen. Insbesondere wenn Windparks mehr als 100 km von der Küste entfernt sind, so das Ergebnis der Berater, ist die Offshore-Produktion von Wasserstoff und der Pipeline-Transport günstiger als der Transport von Elektronen – kombiniert mit einer Onshore-Elektrolyse. DNV schätzt 2030 die Erzeugung und Transport umfassenden Kosten der Offshore-Wasserstoffproduktion auf 4,59 Euro/kg, wenn der Windpark 150 km von der Küste entfernt liegt. Gemäß den DNV-Analysen sind dies schon 2030 die günstigsten Produktionskosten für Wasserstoff in Europa. Bis 2050 erwarten die Berater einen zunehmenden Kostenvorteil gegenüber der Nutzung von Offshore-Wind, kombiniert mit einer Onshore-Elektrolyse an Land, unabhängig davon, welche Übertragungsnetztechnologie für den Stromtransport eingesetzt wird.
Aber Offshore-Wind und Offshore-Elektrolyse sowie die notwendige Transportinfrastruktur wird sich nicht von allein entwickeln. Die Fernleitungsnetzbetreiber sehen in verschiedener Hinsicht Handlungsbedarf, den sie in ihrer Erklärung formuliert haben.
Es sollte eine Methode zur Kosten-Nutzen-Analyse entwickelt und eingesetzt werden, die langfristig eine optimale Entwicklung der Offshore-Wind- und -Wasserstoffanlagen ermöglicht. Im Rahmen einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse müssen auch die Verteilung der Kosten auf die jeweils betroffenen Anrainerstaaten sowie die Finanzierung geklärt werden. Unabhängig von den Interessen der FNBs ist die Frage der Koordination und Finanzierung eines „Kraftwerks Nordsee“ für alle beteiligten Staaten eine Herausforderung. Sie wird auch durch bilaterale Abkommen gelöst werden. In Ostende hat die Bundesrepublik zwei solcher Abkommen mit Dänemark unterzeichnet.
Neben den Kostenfragen sind Regulierungs- und Rechtsfragen zu klären. Benötigt wird ein Rahmen, der es den FNBs erlaubt, Investitionen in Offshore-Pipelines vorzunehmen. Da der angestrebte Backbone verschiedene Länder verbinden soll, muss auch die notwendige technischen und regulatorische Harmonisierung zwischen den beteiligten Staaten sichergestellt sein.
Es besteht also noch viel Arbeit, aber mit ersten Projekten wie Aquaductus wird auch aufgezeigt, wie es funktionieren kann.
Sowohl in der Ostende-Erklärung der Staaten als auch in der FNB-Erklärung wird aber noch ein weiterer Punkt angesprochen, der an Bedeutung gewinnen wird. Zu dem Gesamtkonzept eines Nordsee-Energy-Hubs gehört auch der Offshore-Pipeline-Transport von CO2 zu Aquifer-Lagerstätten in der Nordsee in Norwegen, Dänemark oder UK, um es dort zu speichern (Carbon Capture and Storage – CCS). Norwegen und Dänemark versteigern schon Lizenzen für Gebiete, die zu Lagerstätten entwickelt werden können. In der Deklaration der Energieminister heißt es dazu eher vorsichtig: „Angesichts der potenziellen Rolle der Abtrennung, Speicherung oder Nutzung von CO2 (CCUS) und dem Potenzial der Nordsee, CO2 in geologischen Formationen zu speichern, unterstreichen wir die Notwendigkeit in den Ländern, die solche Formationen in der Nordsee entsprechend nutzen wollen, Speicher und Offshore-Infrastruktur besser zu koordinieren. Die FNBs nehmen diesen Ball auf und wollen einen Rechts- und Regulierungsrahmen, der die optimale Entwicklung einer notwendigen CO2-Infrastruktur erlaubt. In Deutschland arbeitet unter anderem der Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea an dem Thema. Schon im August des vergangenen Jahres wurde mit dem norwegischen Energieproduzenten Equinor eine Absichtserklärung für die Zusammenarbeit unterzeichnet. Der Bau einer 900 km langen CO2-Pipeline von Wilhelmshaven nach Norwegen ist Teil der geplanten Kooperation. Equinor wird schon 2024 mit der Einlagerung von CO2 in Lagerstätten unter der Nordsee starten. Das CO2 kommt unter anderem von einem niederländischen Werk des Chemieunternehmens Yara. Erst einmal wird es per Schiff nach Norwegen transportiert. In Deutschland wird über den Rechtsrahmen für den möglichen CO2Transport vermutlich im Rahmen einer Carbon Management Strategie noch intensiv und kontrovers diskutiert werden. Den Konsultationsprozess hat das Bundeswirtschaftsministerium Ende März gestartet.
Der Energy Hub Nordsee ist ein spannendes europäisches Projekt, das nicht nur EU-Staaten einbindet. Die Ostende-Deklaration und die Initiative der FNBs zeigen, dass es um mehr geht als nur die Stromerzeugung und die Verteilung des Stroms zwischen den europäischen Ländern. Wie groß der Hub wirklich wird, scheint aber noch offen, die Ambitionen sind hoch.