Die EU-Kommission hat ihre im März vorgestellte „REpowerEU“-Strategie in einen Rahmenplan gegossen. Ein zugehöriger „Delegierter Rechtsakt“ macht dabei Vorgaben für die Produktion von grünem Wasserstoff in der EU. Der EID sprach darüber mit der Energieexpertin Corinna Klessmann vom Beratungsunternehmen Guidehouse.
EID: Frau Dr. Klessmann, mit dem jüngst verkündeten REpowerEU-Plan will die EU-Kommission u.a. das Ziel für den Erneuerbaren-Ausbau von 40 auf 45 Prozent bis 2030 heraufsetzten. Liegt darin nach Ihrer Einschätzung nun der von der EU-Kommission versprochene Energiewende-„Turbo“ bzw. halten Sie die neuen Ziele für realistisch?
Klessmann: Man muss zunächst einmal sagen, es handelt sich tatsächlich um ein extrem ambitioniertes Ziel. Vor ungefähr zehn Jahren hatte beispielsweise der europäische Erneuerbaren-Verband dieses Erneuerbaren-Ziel bis 2030 gefordert. Damals wurde es noch als utopisch und unrealistisch abgetan. Jetzt schlägt es die EU-Kommission vor – da zeigt sich schon, dass wir an einer Zeitenwende stehen.
Ob die Ziele wirklich erreicht werden können, wird davon abhängen, ob die Genehmigungsverfahren für Erneuerbaren-Projekte tatsächlich beschleunigt werden können. Natürlich ist die verbleibende Zeit von acht Jahren sehr knapp, wenn man bedenkt, das heutige Entwicklungszeiten für Windenergieprojekte vier bis fünf Jahre betragen, bei Offshore-Projekten deutlich länger. Allerdings ist der straffe Zeitplan natürlich auch der aktuellen Situation geschuldet, in der man nun in sehr kurzer Zeit die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren will.
EID: Sie sprechen es an, in der überarbeiteten Erneuerbare-Energien-Richtlinie, kurz: RED III, sollen genaue Vorgaben für die Ausbau-Beschleunigung gemacht werden. Erneuerbaren-Projekte sollen etwa als im öffentlichen Interesse liegend definiert oder EE-Vorrangflächen ausgewiesen werden, alles Punkte, die man ähnlich auch aus der deutschen Energiepolitik kennt. Inwieweit erhöhen die Vorgaben den Druck in Deutschland noch?
Klessmann: Im Grundsatz hat Deutschland viele der Punkte bereits in Angriff genommen. Über das beschlossene „Osterpaket“ hinaus werden im „Sommerpaket“ ja noch weitere Regelungen kommen. Allerdings, die konkreten Brüsseler Fristvorgaben tatsächlich einzuhalten – dort ist etwa die Rede davon, Vorzugsgebiete auszuweisen, in denen dann Genehmigungen innerhalb eines Jahres erteilt werden müssen bzw. außerhalb derer in maximal zwei Jahren –, da ist schon ein deutlich höheres Tempo als in der aktuellen Praxis nötig. Zugleich bleibt aber unklar, wie verbindlich die RED III-Vorgaben für die nationale Umsetzung sind.
EID: Vorgesehen ist im EU-Plan auch ein sogenannter „Hydrogen-Accelerator“, wie es dort heißt. Geplant ist bis 2030 ein Zielwert von 20 Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs, 10 Millionen Tonnen aus europäischer Produktion, 10 Millionen im Wege von Importen. Auch hier die Frage: Sind diese Vorgaben realistisch bzw. ambitioniert genug?
Klessmann: Auch beim Wasserstoff muss man sagen, dass das Ziel sehr ambitioniert ist – und es steht und fällt mit der Infrastrukturfrage. Bedingung ist außerdem, die nötigen Investments zu mobilisieren. Die Frage wird sein, wie die erforderlichen Investitionen angereizt werden. Insbesondere bei der Umstellung der Industrie auf grünen Wasserstoff – man denke etwa an die Direktreduktion beim Stahl – wird das nur mit Fördermitteln funktionieren. Es werden im EU-Plan ja erhebliche Summen genannt, die zur Verfügung gestellt werden sollen, sowohl für die Infrastruktur als auch für die Umstellung der Industrieprozesse. Es bleibt abzuwarten, ob sie ausreichen werden, um den Hochlauf rechtzeitig umzusetzen. Hinzu kommt die Unsicherheit, wie so ein Wasserstoff-Infrastrukturaufbau eigentlich funktionieren soll, solange der Markt erst im Hochlauf begriffen ist. Da sind noch viele Fragen offen, sowohl mit Blick auf die Planung bzw. Regulierung wie auch auf die Finanzierung der H2-Infrastruktur. Allerdings, dass man Wasserstoff und eine Pipeline-Infrastruktur schon kurzfristig brauchen wird, ist nun deutlicher als noch vor ein paar Jahren.
Den Plänen spielt natürlich in die Hände, dass die Energiepreise derzeit so hoch sind. Die aktuellen Gaspreise machen grünen Wasserstoff attraktiver. Nichtsdestotrotz braucht man eine gewisse Investitionssicherheit, insoweit ist es wichtig, dass da nun ein Rahmen gesetzt wird durch die Politik.
EID: Konkret sieht der delegierte Rechtsakt für erneuerbaren Wasserstoff, der nun mit Verzögerung veröffentlicht worden ist, vor, dass nur noch Strom aus neuzubauenden, ungeförderten Wind- und Solaranlagen zur Produktion grünen Wasserstoffs zugelassen werden soll. Marktteilnehmer sehen das teils als eine sehr enge Vorgabe …
Klessmann: Der veröffentlichte Entwurf sieht tatsächlich vor, dass ab 2027 für die Produktion grünen Wasserstoffs ausschließlich Strom aus Neuanlagen verwendet wird, die komplett ungefördert errichtet wurden – was im Grunde bedeutet, dass die Finanzierung dieser Neuanlagen dann indirekt bei den Wasserstoffproduzenten liegt. Das stellt natürlich für die Wasserstoffproduzenten eine Bürde dar, und die Industrie kritisiert das als unverhältnismäßig. Man muss aber auch das Ziel hinter dem Pakt sehen. Wenn man einfach nur Netzstrom nutzen würde, dann erhöhte sich der Stromverbrauch durch die Elektrolyseure. Wenn dabei nicht sichergestellt ist, dass der Erneuerbaren-Anteil im gleichen Tempo steigt, führt das zu einem höheren Stromverbrauch, zusätzlichen CO2-Emissionen und entsprechend höheren Preisen.
Aus gesamtökonomischer Perspektive würde ich sagen, dass die Zusätzlichkeitsanforderung im Grundsatz gerechtfertigt ist. Denn man braucht ja diese zusätzlichen erneuerbaren Energien aus Systemsicht. Es bleibt aber die Frage, ob den Zubau tatsächlich die Wasserstoffproduzenten sicherstellen müssen oder er nicht doch teilweise durch Förderinstrumente abgesichert werden sollte – insbesondere, wenn der Rechtsakt zukünftig nicht mehr nur für den Verkehr, sondern auch für die Industrie gilt.
Zweifel habe ich bei der Vorgabe der zeitlichen Korrelation, da es kompliziert und systemisch nicht effizient ist, die Wasserstoffproduktion am Betrieb der kontrahierten PPA-Anlagen auszurichten. Es wäre sinnvoller, zu schauen, ob ausreichend Erneuerbare am Strommarkt verfügbar sind. Diese Perspektive ist jetzt zumindest in Ansätzen in diese letzten Fassung noch hineingekommen. Nun sollen auch Stunden zulässig sein, in denen die Preise unter 20 Euro je MWh oder unter 36 Prozent des CO2-Preises liegen.
EID: Welchen Eindruck hinterlässt insgesamt der Entstehungsprozesses des delegierten Rechtsakts bei Ihnen?
Klessmann: Das Gezerre um die Kriterien für grünen Wasserstoff liegt natürlich auch in der Bedeutung der aktuellen Weichenstellung begründet. Der Rechtsakt legt zentral fest, unter welchen Bedingungen Wasserstoff in Europa zukünftig als grün gilt und damit auf Erneuerbaren-Quoten angerechnet oder gefördert werden darf. Da ist es nicht unproblematisch, dies in einem delegierten Rechtsakt, vergleichbar etwa einer Verordnung in Deutschland, festzulegen – und die Entscheidung damit ein Stück weit dem demokratischen Verfahren bzw. den Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament zu entziehen. Darin dürfte ein Grund liegen, warum sich der Prozess immer wieder verzögert hat. Die Kriterien sind zwar schon in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie angelegt, allerdings sehr vage. Viel ist nun hinter verschlossenen Türen abgestimmt worden und es gab wenig Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, was für Kritik und Unmut gesorgt hat. Die Mitgliedstaaten können den Rechtsakt nur als Ganzes ablehnen, aber nicht mehr proaktiv ändern. Andere Stimmen, etwa von Umweltschutzseite, sagen, die Regelungen seien bei der Kommission eigentlich gut aufgehoben, da sie so nicht mehr „totlobbyiert“ werden konnten. Man muss aber sagen, dass die Verzögerung dem Wasserstoff-Markthochlauf geschadet hat und der Rechtsakt einige Umsetzungshürden bereit hält.
EID: Frau Dr. Klessmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.