In Deutschland werden in Q1 2023 drei schwimmende LNG-Terminals zur Verfügung stehen. Sie müssen aber auch ausgelastet sein, damit genug Gas zur Wiederbefüllung der Speicher bereitsteht.
Ein hohes LNG-Angebot ist Voraussetzung für eine hohe Wiederbefüllung der deutschen Speicher vor dem nächsten Winter. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse der Gas-Szenarien, die von dem Verband der Speicherbetreiber, Initiative Energien Speichern (INES) in einer Pressekonferenz am 18. November vorgestellt wurden. Neben der Frage, ob es in diesem Winter zu einer Gasmangellage kommen kann, beschäftigt viele Marktteilnehmer zunehmend die Frage, ob denn eine ausreichende Befüllung vor dem nächsten Winter möglich ist. Der ganze simple Ansatz: In diesem Jahr hat Russland noch Mengen nach Europa geliefert, die im kommenden Jahr nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Eine Erhöhung des Angebotes oder eine Reduzierung der Nachfrage werden deshalb nötig sein, um über den nächsten Sommer eine Wiederbefüllung der Speicher zu sichern. INES hat ein Modell gebaut, das auf den europäischen Infrastrukturkapazitäten und Erdgasverbräuchen basiert.
INES-Geschäftsführer Sebastian Bleschke erläuterte, dass ein hohes LNG-Angebot die weggefallenden russischen Mengen ersetzen kann. In Deutschland werden im ersten Quartal 2023 in Lubmin, Wilhelmshaven und Brunsbüttel drei neue schwimmende LNG-Terminals zur Verfügung stehen. In den Niederlanden ist schon seit September in Eemshaven ein neues Terminal in Betrieb. Diese Terminals müssen aber auch entsprechend ausgelastet werden, damit ausreichend Gas zur Wiederbefüllung der Speicher zur Verfügung steht. Bleschke empfiehlt deshalb ein tägliches Monitoring der LNG-Importe nach Europa. Fast verblüffend an den Ergebnissen der INES-Szenarien: Eine sehr hohe Befüllung der Speicher ist auch dann möglich, wenn sie im Verlauf dieses Winters komplett geleert werden sollten. Aktuell ist der Füllstand der deutschen Speicher mit fast 100 Prozent mehr als komfortabel. Wenn der aktuelle Winter „warm“ wird (INES hat die Wetterdaten des Jahres 2020 zur Simulation eines warmen Winters verwendet), dann werden die Speicher auch Ende März noch zu 27 Prozent gefüllt sein (Abb.). Schon im August kann dann ein Füllstand von 100 Prozent erreicht sein.
Selbst wenn dieser Winter sehr kalt wird (analog zum Winter 2016), sind die Speicher zu Beginn des kommenden Winters dennoch zu 90 Prozent gefüllt. Dies entspricht dann zwar nicht ganz der gesetzlichen Füllstandsvorgabe von 95 Prozent, ist aber doch ein recht hoher Wert. Die Abbildung zeigt aber auch, dass Deutschland bei einem kalten Winter im Februar und März – trotz der aktuell sehr hohen Speicherfüllstände – ein Versorgungsproblem haben kann. Im Modell heißt dies, dass bei dem gegebenen Angebot und der unterstellten Nachfrage, diese Nachfrage nicht mehr durch die Ausspeicherungen gedeckt werden kann. Bezüglich der Nachfrage wird für die Szenarien unterstellt, die bisher beobachtbaren Einsparungen bei Haushalten und Industrieunternehmen gelten auch für den Rest des Modellierungszeitraums.
Der Nachteil des Modells (wie aber auch vieler anderer Modelle): Es berücksichtigt keine Preise und damit preisbedingte Verhaltensreaktionen der verschiedenen Akteure. Dessen ist sich INES aber auch bewusst. Bleschke hat bei der Präsentation der Ergebnisse darauf hingewiesen, dass in dem Modell die Einspeicherung deutlich früher erfolgt, als dies in der Realität zu erwarten ist. Aktuell diskutieren viele Marktteilnehmer, welche Speicherbuchungen und Einspeicherungen ohne staatliche Unterstützung überhaupt zu erwarten sind. Derzeit wird für Winter 2023 am THE VHP 1,00 Euro/MWh mehr als für den Sommer 2023 bezahlt, viel zu wenig, um Anreize für Speicherbuchungen zu liefern. Die deutschen gesetzlichen Vorgaben für die Speicherbefüllung sehen vor, dass der Marktgebietsverantwortliche THE so genannte Strategic Storage-Based Options (SSBOs) ausschreibt, um Händlern Anreize zu bieten, Speicher zu nutzen und auch voll zu befüllen. In diesem Jahr wurden sie nach Inkrafttreten des Speichergesetzes im Mai ausgeschrieben. Für das kommende Speicherjahr muss dies früher erfolgen, sagen Marktteilnehmer. Auch sollten die SSBOs gemeinsam mit den Speicherkapazitäten ausgeschrieben werden.
Bezüglich eines Ausgleichs fehlender russischer Gasmengen durch Flüssigerdgas-Importe hat die Internationale Energie-Agentur (IEA) gerade erst Anfang November einen eher pessimistischen Ausblick gegeben. In ihrer Kurzanalyse „Es ist nie zu früh, sich auf den nächsten Winter vorzubereiten“ schreibt die Agentur, im kommenden Jahr werde das LNG-Angebot nur um 20 Milliarden m3 wachsen. Zu wenig, um fehlendes russisches Pipeline-Gas zu ersetzen. Zudem warnen die IEA-Analysten vor einer wirtschaftlichen Erholung Chinas. Das Land könnte in dem Fall 85 Prozent des zusätzlichen LNGs absorbieren. Wie groß – und wie langfristig – Chinas LNG-Appetit ist, zeigt auch ein neuer Abschluss des chinesischen staatlichen Energieunternehmens Sinopec mit Qatar Energy. Vier Millionen Tonnen LNG (7,2 Milliarden m3) pro Jahr will Sinopec zusätzlich ab 2026 beziehen. Das Besondere an dem Vertrag ist die Laufzeit: Sie beträgt 27 Jahre, angeblich die längste jemals in einem LNG-Vertrag vereinbarte Laufzeit.
Die IEA schätzt vor diesem Hintergrund, dass im nächsten Sommer 30 Milliarden m3 in Europa fehlen können, rund die Hälfte der Menge, die notwendig ist, um die Speicher zu 95 Prozent zu befüllen. Deshalb fordert die IEA größere Anstrengungen bei Energieeffizienzmaßnahmen und dem Ersetzen von Gas im Wärmesektor durch Wärmepumpen.
Zumindest bezüglich der Inbetriebnahme der deutschen LNG-Terminals gibt es durchaus positive Nachrichten. So ist das LNG-Schiff Neptune, auf dem in Lubmin die Regasifizierung des Gases erfolgen soll, vor Rügen eingetroffen und soll in Kürze seinem Bestimmungsort Lubmin erreichen. Die Betreiber des Terminals Deutsche Ostsee wollen am 1. Dezember starten. Das könnte sportlich werden, aber viel später wird es nicht. Und erste LNG-Schiffe sind wohl für das Terminal auch schon avisiert.
Wichtig wird es sein, die weitere Entwicklung genau zu verfolgen. INES wird am 9. Dezember eine Aktualisierung seiner Szenarien präsentieren. Die IEA wird eine Roadmap zur Möglichkeit der Sicherung des Gas-Gleichgewichts im kommenden Winter veröffentlichen.