Deutschland wolle den „Komplettausstieg“ aus russischen fossilen Energien, bekräftigte Bundesaußenministerin Baerbock auf dem „Berlin Energy Transition Dialogue“ in Berlin – aber nicht zu Lasten Dritter.
Angesichts der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten bzw. deutlich verschärften Energiekrise in Deutschland und Europa nicht die in anderen – ärmeren – Weltregionen bestehenden drastischen Auswirkungen des russischen Angriffs aus dem Blick zu verlieren, darauf drangen die Gastgeber des jüngsten Berlin Energy Transition Dialogue 2022, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Außenamts-Chefin Annalena Baerbock, deren Häuser die jährliche Konferenz gemeinsam ausrichten. „Wenn wir jetzt alles dafür tun müssen, in Deutschland und in Europa unverzüglich unabhängig zu werden von fossilen russischen Energien, dann dürfen wir unsere Energiekrise nicht in andere Länder exportieren – auch das ist unsere globale Verantwortung in dieser so schwierigen Zeit“, formulierte es Baerbock. Habeck ergänzte, Europa sei ein „reicher Kontinent“ – als Volkswirtschaft könnten Deutschland und Europa bei allen Härten für Verbraucher und Unternehmen die Krise „gut bestehen“. Wenn aber das Öl und Gas, das in Europa russische Lieferungen ersetzen soll, auf dem Weltmarkt fehle, dann „fehlt es auch in anderen Weltregionen“, so Habeck. Die energiepolitischen Umstellungen dürfen nicht „zu Lasten von Dritten“ geschehen. Hinzu kämen „indirekte Konsequenzen“. Bestimmte Produkte könnten aufgrund der Energieknappheit womöglich nicht mehr ausreichend produziert werden. „Düngemittel etwa brauchen viel Gas“, so Habeck – „fehlt das Gas, haben wir Probleme, die Welternährung sicherzustellen“. Das, kombiniert mit dem Ausfall von Getreide aus der Ukraine oder Russland, wiederum berge die Gefahr von Hungersnöten in bestimmten Ländern und in der Folge von sozialen Unruhen.
Nichtdestotrotz, „um nicht missverstanden zu werden“, bekräftigte Baerbock, Deutschland wolle „den nationalen Komplettausstieg aus fossiler russischer Energieabhängigkeit“. Man könne das, was Wirtschaftsminister Habeck derzeit vorbereite, auch als „nationales schrittweises De-facto-Embargo vor allem beim Öl“ nennen. Mit dem Begriff Embargo indes, über den es in der EU eine große Diskussion gebe, habe die Bundesregierung „einige Probleme, denn wenn wir über Embargo sprechen, dann erwarten wir wie bei anderen Sanktionen, dass alle anderen Länder mitziehen – hier aber sind viele unter uns“, so Baerbock in die Runde internationaler Vertreter, „die ebenso abhängig sind von fossiler Energie wie wir“.
Deutschland indes habe in den letzten Wochen vor allem in der Steinkohle seine Importe bereits halbiert, „und wir werden in den anderen Bereichen nicht nur halbieren, sondern wir werden aus den fossilen Energien komplett aussteigen, die aus Russland kommen“, so Baerbock. Das bedeute – und das gehöre „zur Ehrlichkeit dazu“ –, dass Deutschland für den Übergang die Energiewende flankieren werde durch „einem Umstieg von fossilen Importen aus Russland auf andere fossile Importe, dass wir also kurzfristig weiterhin Gas und Öl aus anderen Ländern importieren müssen“.
Habeck betonte, Deutschland habe sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten energiepolitisch „in eine große Abhängigkeit“ gebracht. Energiepolitik sei „nie allein Wirtschaftspolitik, sondern immer Machtpolitik, immer Interessenpolitik und damit immer auch Sicherheitspolitik“, zog er eine Lehre aus der Vergangenheit. Im Rückblick sei – nach der Besetzung der Krim oder dem russischen Einmarsch in Georgien, in deren Nachgang man sich hierzulande noch auf Nord Stream 2 eingelassen habe – „nur schwer zu verstehen, wie man so blind sein konnte, das zu übersehen“.
Habeck warnte unterdessen vor einer neuen Tendenz zur „Deglobalisierung“. Es gebe dafür Indizien wie etwa neue Zölle; auch Deutschland und Europa holten zudem – im Sinne einer Resilienzstrategie – kritische Infrastruktur, Halbleiter- bzw. Batteriezellfertigung oder die Wasserstoffwirtschaft bewusst nach Europa zurück, obwohl die Produktionsbedingungen teurer sind als woanders. „Es gibt diese Tendenz zur Deglobalisierung, aber wir dürfen ihr nicht nachgeben.“
Auch die in Berlin zugeschaltete EU-Energiekommissarin Kadri Simson beteuerte, der Einmarsch Russlands in der Ukraine bestätige den Entschluss der EU, „klimaneutral zu werden und bis 2050 Netto-Null zu erreichen“. Brüssels Antwort auf Putins Krieg sei, „noch schneller in diese Richtung zu gehen und unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insbesondere von russischen fossilen Brennstoffen, zu verringern“, so Kadri. „Kurzfristig werden wir unsere Versorgungswege diversifizieren, aber die dauerhafte Lösung besteht darin, den Einsatz erneuerbarer Energien zu beschleunigen und vor allem mehr erneuerbaren Wasserstoff zu produzieren und die Gesamteffizienz zu verbessern.“ Auch Simson blickte dabei über Europas Grenzen hinaus, es gelte „Allianzen zu verstärken und neue Allianzen zu schaffen“. Insbesondere Afrika einzubeziehen, sei „eine geografische Priorität, um den Zugang zu nachhaltiger Energie im nächsten Jahrzehnt zu beschleunigen“.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und dem andauernden Krieg hatte das Bundeswirtschaftsministerium kurz vor dem Start des Berlin Energy Transition Dialogue einen „Fortschrittsbericht Energiesicherheit“ vorgelegt. Darin skizziert das BMWK, was seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 bereits konkret geschehen sei, um Lieferketten zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Russland kurz- und mittelfristig zu reduzieren.
Bereits in Gang gesetzt habe das BMWK die Unterstützung der Unternehmen, schrittweise Energielieferungen aus Russland zu ersetzen. Zudem sei ein Ankaufprogramm zur Beschaffung von mindestens 700 Millionen m3 Gas durch den Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe (THE) beschlossen worden. Auch die Freigabe von 3,2 Millionen Barrel aus der nationalen Ölreserve im Rahmen einer gemeinsamen Aktion aller IEA-Mitgliedsstaaten im Umfang von 60 Millionen Barrel Öl listet das Ministerium auf.
Auf der jüngsten Reise von Bundeswirtschaftsminister Habeck, begleitet von Vertretern der Energieunternehmen, hätten zudem KfW, Gasunie und RWE ein Memorandum of Understanding zur gemeinsamen Errichtung eines LNG-Terminals am Standort Brunsbüttel unterzeichnet.
Zudem sei ein Gesetz zur nationalen Gasreserve durch den Deutschen Bundestag zur Sicherstellung einer ausreichenden Befüllung der Gasspeicher zu Beginn der nächsten Heizperiode beschlossen worden – und ein Prozess durch die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur aufgesetzt worden, um gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern die Beschaffung und Reservebildung bei Kohle voranzutreiben.
Auf den Weg gebracht worden seien zudem Pläne für drei schwimmende LNG-Terminals über die Unternehmen RWE und Uniper, die teilweise bereits für den Winter 2022/23 zum Einsatz kommen könnten.
Absehbar sei zudem, resümiert der Fortschrittsbericht weiter, ein Kabinettsbeschluss zur EEG-Novelle im Rahmen des Sofortprogramms („Osterpaket“) – mit dem Ziel der Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und zur Anhebung der Gebäudestandards.
Des Weiteren legt der Bericht in vier Punkten dar, „wo wir aktuell stehen und was erreicht werden kann“. Diese vier Punkte umfassen die Einsparung von Energie sowie die Reduktion der Importe von Öl, Kohle und Erdgas aus Russland.
Die im Fortschrittsbericht dargelegten Maßnahmen gehen nach EID-Einschätzung alle in die richtige Richtung. Allerdings steht die im Koalitionsausschuss am 23. März 2022 u.a. beschlossene Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate, damit der Benzinpreis um 30 Cent pro Liter und der Dieselpreis um 14 Cent je Liter sinkt, der gemäß Fortschrittsbericht angestrebten Verringerung des Ölverbrauchs entgegen. Der Preis als zentrales Lenkungsinstrument der Markwirtschaft wird dadurch ausgehebelt. Und dies, wo doch gerade ein Rückgang der Nachfrage eine preisdämpfende Wirkung zu entfalten in der Lage wäre. Sinnvoller als eine Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe wäre eine Reduktion der Stromsteuer auf das in der EU vorgeschriebene Mindestniveau. Ein Durchschnittshaushalt hätte dann etwa 100 Euro im Jahr weniger für Strom zu bezahlen. Diese Maßnahme würde zudem die Sektorenkopplung begünstigen, also den politisch erwünschten vermehrten Einsatz von Strom im Verkehrssektor und im Wärmemarkt. Auch dadurch könnte mittelfristig der Verbrauch an Öl und Erdgas gemindert werden – mit entsprechenden Preiseffekten.