Wasserstoff-Netz: Zwischen Visionen und Realität

Bild: Gascade

Das künftige deutsche H2-Transportnetz nimmt Gestalt an. „Wir sind jetzt einen dramatischen Schritt weitergegangen“, kommentiert FNB Gas-Chef Gößmann jüngste Modellierungen der Netzbetreiber.

Der Aufbau eines Wasserstoffnetzes hat es in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft: „Strom und H2-Netze sind das Rückgrat des Energiesystems der Zukunft“, heißt es im Vertrag. Und schon einige Abschnitte vorher versichern die Koalitionäre: „Wir wollen den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft und die dafür notwendige Import- und Transportinfrastruktur möglichst schnell vorantreiben“. Möglichst schnell vorantreiben wollen auch die Fernleitungsnetzbetreiber (FNBs) den Aufbau eines Wasserstoffnetzes. Schon Ende Januar 2020 hatte der Verband der Fernleitungsnetzbetreiber, FNB Gas, ein „visionäres Wasserstoffnetz“ mit einer Länge von 5.900 Kilometern veröffentlicht. An dem Netz hing 2020 noch kein Preisschild und auch kein Datum, bis zu dem dieses Netz in Betrieb gehen soll. Aber Ende Januar 2020 wurde das Versprechen abgegeben, dieses visionäre H2-Netz auf Basis neuer Erkenntnisse weiter zu entwickeln.

Am 25. Oktober, einen Tag nach Veröffentlichung, hat der FNB Gas in einem Pressegespräch diese Weiterentwicklung vorgestellt: „Wir sind jetzt einen dramatischen Schritt weitergegangen“, sagte Thomas Gößmann, der FNB Gas-Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer von Thyssengas, einem FNB, bei der Vorstellung des möglichen deutschen Wasserstoffnetzes. „Wir haben auf der Basis der Dena-Leitstudie I ein funktionsfähiges Netz berechnet“, fügte er hinzu. Zudem haben die Fernleitungsnetzbetreiber mit möglichen Anbietern und Nachfragern von Wasserstoff gesprochen, um Markteinschätzungen zu bekommen. Im Rahmen einer Marktabfrage im ersten Quartal dieses Jahres waren ihnen rund 500 Projekte gemeldet worden. Bis 2050 soll ein Wasserstoffnetz mit einer Länge von 13.300 Kilometern gebaut werden. 11.000 Kilometer sollen Gasleitungen sein, die dann auf den Transport von Wasserstoff umgestellt sind. Die Investitionskosten bis 2050 betragen 18 Milliarden Euro. Dies sei verglichen mit den Investitionen im Stromsektor keine Zahl, bei der man erschrickt, sagte Gößmann. Dieses Netz soll 500 TWh Wasserstoff pro Jahr transportieren können und eine Spitzenabnahme von 110 GWh ermöglichen. Die FNBs haben nicht nur diesen Endpunkt strömungsmechanisch simuliert, sondern auch ein „H2-Netz 2030 als Zwischenschritt“ (Abbildung). Dieses erste Netz soll 71 TWh transportieren, bei einer Spitzenabnahme von 10 GWh/h.

 

H2-Netz 2030: Schematische Darstellung von Leitungstrassen, in denen auch mehrere Leitungen parallel verlaufen können. Symbolisch vermerkt sind Raffinerien, Kavernenspeicher, Chemie- und Stahlindustrie. Gestrichelte Linien kennzeichnen Neubauprojekte, sonst Umrüstungen von Gasleitungen. Bild: FNB Gas

Die Leitstudie I „Integrierte Energiewende“ der Deutschen Energie-Agentur aus dem Jahr 2018 ist für die FNBs ein interessanter Bezugspunkt, weil in einem Szenario für 2050 ein Verbrauch von gut 1.000 TWh an gasförmigen Energieträgern ermittelt wurde. In diesem „TM 95-Szenario“ kommt ein breiter Mix an Technologien zum Einsatz, um bis 2050 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent zu erreichen. Die FNBs haben mit einer Management-Beratung und auf Basis der schon genannten Gespräche dieses Szenario überarbeitet und prognostizieren auf dieser Basis den Bedarf von 500 TWh Wasserstoff im Jahr 2050. Schwerpunkt des Wasserstofferbrauchs ist die Industrie mit rund 340 TWh, in erster Linie in der Stahl- und Chemieindustrie. Im Verkehr erwarten die FNBs einen Absatz von rund 90 TWh. 69 TWh werden in den Bereichen Wärme und Energieerzeugung eingesetzt. Im Wärmesektor erwarten die FNBs eine Mischung aus kombinierter Strom- und Wärmeproduktion aus Wasserstoff, eine Umstellung von Gasnetzen auf Wasserstoff in der Wärmeversorgung und eine Beimischung von Wasserstoff zu Gasen. Wobei Gößmann betonte, die FNBs werden kein Gemisch aus Wasserstoff und Gas transportieren, für eine Beimischung solle der Wasserstoff dezentral produziert werden.

Das vorgeschlagene Was­ser­stoffnetz bindet zum einen die Verbrauchsschwerpunkte an. Bei der industriellen Nutzung sind diese leicht identifizierbar. Im Verkehrs- und Wärmesektor haben die FNBs indes regionale Verbrauchsschwerpunkte identifiziert. Autobahnen sollten von dem H2-Netz gut erreichbar sein, um Wasserstofftankstellen für LKWs zu beliefern. Die Verbrauchsschwerpunkte werden dann mit möglichen Einspeiseschwerpunkten kombiniert. Dies ist die mögliche deutsche Wasserstoffproduktion, die vor allem im Norden Deutschlands erfolgen wird. Dies sind Importe, die aus sehr verschiedenen geografischen Regionen kommen, und es sind Speicherstandorte. Die Bereitstellung von Leistung aus Kavernenspeichern, die auf Wasserstoff umgestellt werden, ist für die Netzbetreiber vom FNB Gas ein ganz wesentliches Element bei der Bereitstellung von Wasserstoff: „Wir können nur begrenzt sichere Leistung aus dem Ausland beziehen und benötigen deshalb erhebliche gesicherte Leistung aus Speichern“, sagte Malte Grunwald von Gasunie Deutschland, der für die Simulationen verantwortlich war.  „Wir gehen davon aus, dass 70 Prozent der Kavernenspeicher auf Wasserstoff umgestellt sind“, ergänzte er.

Der FNB Gas wird diese Netzplanung an neue Erkenntnisse anpassen. So hat die Dena Anfang Oktober eine neue Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ vorgelegt. In der Studie wird mit 470 TWh eine etwas geringere Wasserstoffnachfrage prognostiziert, als von den FNBs erwartet. Dennoch zeigt sich Grunwald überzeugt, eine gute Vorarbeit geleistet zu haben. Man müsse nun im Detail draufschauen.

Grundsätzlich werden die FNB-Arbeiten zu einem solchen Wasserstoffnetz sehr begrüßt: „Damit ist man bezüglich der möglichen Transportinfrastruktur weiter als bei vielen anderen Fragen“, sagte ein Mitglied des Wasserstoffrates dem EID. Auch im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) besteht wohl durchaus Sympathie für den Ansatz: „Die Infrastruktur muss als erster Punkt erstellt werden“, sagte Thorsten Herdan, Leiter der Abteilung Energiepolitik II – Wärme und Effizienz beim Dena Energiewende-Kongress Anfang November in Berlin. Allein bezüglich der Finanzierung eines solchen Netzes sind viele Fragen offen. Die FNBs wollten eine gemeinsame Regulierung und Finanzierung von Erdgas- und Wasserstoffnetzen. Dies würde dazu führen, dass die Nutzer der Erdgasnetze Wasserstoffnetze mit finanzieren. Dieser Ansatz wurde im Rahmen der Regulierung der Wasserstoffnetze im Zuge der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) in diesem Jahr nicht umgesetzt. Erdgas- und Wasserstoffnetze sind getrennt finanziert. Die Wasserstoffnetze müssen sich aus Netzentgelten, sonstigen Finanzierungsbeiträgen der Nutzer und staatlichen Fördergeldern finanzieren. Eine fehlende europarechtliche Basis war ein wesentlicher Grund für diesen Ansatz. Diese Basis wird es mit großer Sicherheit auch in Zukunft nicht geben. Am 19. November wurden Arbeitsentwürfe der EU-Kommission zu einer Novelle der EU-Gasrichtlinie bekannt. Auch dabei wird eine strikte Trennung der Regulierung von Gas- und Wasserstoffnetzen verfolgt. Die FNBs wollen erste Netze im Rahmen der sogenannten IPCEI-Projekte bauen. IPCEI steht für Important Projects of Common European Interest. Im Mai hatte das BMWi 62 Projekte vorausgewählt, die mit insgesamt 8 Milliarden Euro gefördert werden sollen. An acht Projekten sind FNBs beteiligt. Im kommenden Jahr werden die Förderbescheide erwartet. Dann müssen die FNBs auf ein zusätzliches staatliches Finanzierungsinstrument hoffen. Im Koalitionsvertrag steht: „Wir werden Investitionen in den Aufbau einer Wasserstoffin­frastruktur fördern“.

Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann