Der Verkehrssektor ist seit Jahrzehnten ständiges Sorgenkind bei der Bewältigung der Klimaziele. Mit Elektroautos raus aus dem Sumpf — das ist einer der großen Hebel zu weniger Treibhausgasemissionen. Was aber geschieht mit dem gewaltigen Bestand der weltweiten Verbrenner-Flotte, die auch noch weit in die 30er-Jahre hinein genutzt werden wird? In einer Veranstaltung des Forums für Zukunftsenergien wurde jetzt die Rolle biogener Kraftstoffe für den Klimaschutz im Verkehr unter die Lupe genommen.
„Bis 2040 wird es möglich sein, weltweit knapp die Hälfte des Rohölbedarfs im Verkehr durch E-Fuels oder durch Elektrifizierung zu decken, das heißt, die andere Hälfte bleibt fossil. Und auch dafür müssen wir Lösungen haben“, betonte Marco Lietz vom finnischen Unternehmen Neste, einem der großen Hersteller von aus Reststoffen hergestellten erneuerbaren Kraftstoffen. Mehr als 75 Prozent aller Pkw würden 2030 noch mit Diesel- oder Benzinmotoren angetrieben, und über 80 Prozent der leichten und 90 Prozent der schweren Nutzfahrzeuge.
Stand heute sei, dass die Nachfrage nach erneuerbarem Diesel in den beiden Hauptmärkten Europa und Nordamerika bei 4 bzw. 3 Millionen Tonnen pro Jahr liege. Die Nachfrage werde bis 2030 wohl die Marke von 30 Millionen Tonnen überschreiten, dann würden die USA sicher auf Platz eins stehen. Um diese Nachfrage zu bedienen, brauche es neue Rohstoffe. Neste plane, die eigene Produktion von derzeit 3,5 Millionen Tonnen erneuerbarer Kraftstoffe bis 2026 auf 6,8 Millionen Tonnen zu erhöhen. Der Anteil der reinen Pflanzenöle sei dabei in den letzten Jahren bereits deutlich gesunken und liege im Unternehmen heute bei unter 10 Prozent. Mehr als 90 Prozent stammten aus Rest- und Abfallstoffen, „altes Frittenfett, Schlachtabfälle und allerlei Öle“, die in den Raffinerien des Unternehmens gesammelt und umgewandelt würden. 2019 wurden 72 Prozent der deutschen Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse gewonnen. Der restliche Anteil von 28 Prozent wurde aus Abfällen bzw. Reststoffen produziert.
„Wir stellen nur auf Rohstoffe ab, die nicht die Tank-Teller-Diskussion entfachen“, so Lietz. So werde beispielsweise daran gearbeitet, Algen als Rohstoffquelle kommerziell zu nutzen, ebenso forsche man an anderen Rohstoffquellen wie Holz- oder Kunststoffabfällen und neuartigen Ölen aus Pflanzen, die auf „degradierten, verseuchten Böden“ wachsen. Doch das sind wohl eher langfristig umsetzbare Potenziale.
Selbst wenn Deutschland die geplante Elektrifizierungsquote von 14 Millionen Autos bis 2030 erreiche, werde noch ein erheblicher Anteil an Biokraftstoffen und anderer erneuerbarer Kraftstoffe on Top gebraucht, um die Klimaziele einzuhalten, betonte Normann Wendt, Leiter Nachhaltige Mobilität bei en2x. Er beziffert diese auf dann 8 Millionen Tonnen. „Aktuell sind wir bei gut 3 Millionen Tonnen Biodiesel und 1 Million Tonnen an Bioethanol.“
Wendt sieht seine Branche nun durch den Vorschlag des Bundesumweltministeriums, bis 2030 auf den Einsatz von konventionellen, also meist auf Pflanzenöl basierenden Biokraftstoffen zu verzichten, unter große Herausforderungen gestellt. Das werde das Erreichen der Klimaschutzziele noch schwieriger machen. „Für uns als Branche ist das ein Dilemma, denn wir haben langfristig keine Perspektive, welche Maßnahmen politisch abgedeckt werden.“ Notwendig seien belastbare Rahmenbedingungen, die nicht bereits 2030 enden, sondern mindestens bis 2035 gelten würden. Wünschenswert sei ebenfalls, hierzulande paraffinische Reinkraftstoffe zu erlauben und Perspektiven insbesondere für Bio-LNG und Bio-CNG zu schaffen. „Hier wäre es ein tolles Tool, die Klimaeinsparungen der Kraftstoffe bei der Lkw-Maut zu berücksichtigen“, um schneller in erneuerbare Kraftstoffe zu investieren.
Auch für ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze stellt „ein Abwenden von konventionellen Biokraftstoffen keine gute Idee“ dar. Denn dann stünden 11 Millionen Tonnen CO2-Einsparungen zur Disposition. „Die müssten erst mal aufgeholt werden durch Biokraftstoffe der neuesten Generation.“ Noch sei hierzulande das mögliche Potenzial von Reinkraftstoffen wegen fehlender Zulassung bei Weitem nicht erschöpft – so etwa beim Treibstoff HVO100, der 90 Prozent CO2-Einsparungen bringe und bereits in Nachbarländern getankt werden könne. „Auf einem Pfad, wo jedes Gramm CO2 zählt, ist das schade.“
Allerdings dürfe auch nicht derselbe Fehler wie bei der Einführung des E10 vor gut 10 Jahren gemacht werden, bei der die Autoindustrie im Vorfeld nicht in die Diskussion mit einbezogen gewesen sei. In der Realität habe sich dann gezeigt, dass in manchen Autos verbaute Dichtungen mit dem neuen Kraftstoff nicht klargekommen seien. „Das hat den Markt extremst verunsichert, dem laufen wir heute noch hinterher.“ Obwohl E10 für die im Bestand befindliche Motorengeneration kein Problem mehr darstellt, lag der Marktanteil im Jahr 2021 Schulze zufolge lediglich bei 17,1 Prozent, 2022 waren es dann, wohl auch der massiv gestiegenen Energiepreise wegen, rund 24 Prozent.