Der europäische Verband der Stromindustrie, Eurelectric, sieht einen enormen Strombedarf aufgrund von immer mehr E-Fahrzeugen voraus. Das ist einer Studie zu entnehmen, die der Verband bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young (EY) in Auftrag gegeben hat.
„Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs ist ein unumkehrbarer Megatrend“, sagte Eurelectric-Präsident Jean-Bernard Lévy (EDF) auf der „EVision“-Konferenz, aus der die Studie vorgestellt wurde. Es müssten nur die Ladestationen schneller ausgebaut und der Betrieb des Stromnetz diesbezüglich optimiert werden.
Die EY-Studie sagt für 2030 einen Bestand an E-Autos von 65 Millionen und für 2035 von 130 Millionen voraus. Derzeit haben sie lediglich einen Anteil von 1 Prozent am Fahrzeugbestand von 326 Millionen in der EU. Das europäische Stromnetz könne durchaus 130 Millionen E-Fahrzeuge mit Strom versorgen, heißt es in der Studie. Aber sollte der Marktdurchdringungsgrad 50 Prozent davon erreichen, müsste der Betrieb der urbanen Verteilernetze durch smarte Technik optimiert werden, um die Qualität der Stromversorgung nicht zu beeinträchtigen.
Für die 130 Millionen E-Fahrzeuge 2035 seien mindestens 65 Millionen Ladepunkte erforderlich, davon 9 Millionen öffentliche. Von letzteren gibt es in der EU zurzeit 360.000. In ihrem Verordnungsvorschlag vom Juli 2021 für den Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) macht die EU-Kommission jedoch keine flottenabhängigen Vorgaben für öffentliche Ladestationen, sondern entfernungsabhängige. Demnach soll es 2025 im paneuropäischen TEN-V-Kernnetz mindestens alle 60 km eine Ladestation für PKW und leichte sowie schwere Nutzfahrzeuge geben, deren Leistungskapazität bis 2030 erhöht wird, etwa auf 600 KW für PKW sowie leichte Nutzfahrzeuge und auf 3.500 KW für schwere Nutzfahrzeuge. Laut Folgenabschätzung der EU-Kommission könnte das bis 2040 zu 11 Millionen Ladestationen in der EU führen. Das ist Eurelectric aber nicht ehrgeizig genug. EU-Transportkommissarin Adina Valean äußerte sich auf der Eurelectric-Konferenz zuversichtlich, dass der AFIR-Vorschlag der EU-Kommission von den EU-Mitgesetzgebern, EU-Ministerrat und EU-Parlament, angenommen wird. Sie forderte von Eurelectric, ausreichend grünen Strom dafür bereitzustellen.
Neben einer ehrgeizigeren AFIR-Verordnung fordert Eurelectric eine andere, “zukunftsorientierte“ Regulierung der Verteilernetztarife für Anreize in den Ausbau von Ladestationen und des Netzes. Investitionen darin würden von den Regulierungsbehörden nicht akzeptiert, so Eurelectric-Präsident Lévy. Weiterhin fordert Eurelectric keine Doppelbesteuerung von Stromspeichern wie E-Autobatterien, die wertvolle Ausgleichsleistungen bereitstellen würden. Die im Juli 2021 von der EU-Kommission vorgestellte Neuauflage der Energiesteuerrichtlinie (ETD 3) sieht das auch vor. Laut einer Vorschrift darin, sollen Stromspeicher wie Weiterverteiler behandelt werden. Auch die CO2-Standards für schwere LKW möchte Eurelectric verschärft sehen. Hier plant die EU-Kommission eine Neuauflage der Verordnung im 4. Quartal 2022.
Dass Eurelectric auch schwere LKW mit Strom versorgen will, wurde deutlich in einem Gespräch im Rahmen der Konferenz von Eurelectric-Präsident Levy mit dem Vorstandsvorsitzenden Martin Daum der Daimler Truck Holding. Der bezweifelte, dass die Stromindustrie dies bis 2030 bewerkstelligen kann, denn die LKW-Hersteller hätten sich vorgenommen, schon 2030 zu 30 Prozent CO2-neutrale LKW auf die Straßen zu bringen: „Das kommt abrupt, nicht langsam“. LKW seien überdies anders als E-PKW dauernd unterwegs und E-LKW bräuchten eine kurze Ladezeit. “Können Sie sich vorstellen eine Infrastruktur mit einer Leistung von 20 MW pro Ladestation zu errichten?“, fragte er Levy. Das sei mit „Loadshifting“ machbar, aber ohne smarte Technik schwierig, antwortete Levy. "Mit mehr intelligenten Stromzählern könnten wir besser planen." Beide Industrievertreter kamen überein, künftig enger zusammenzuarbeiten, um das „Henne oder Ei-Problem“ zu lösen.