Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Klimaschutz nach der Corona-Krise die Rahmenbedingungen für energieintensive Unternehmen verändern wird. Gefragt sind grundlegende technologische Innovationen und individuelle, bedarfsorientierte Unternehmensstrategien, um die industrielle Wertschöpfung zu steigern.
Gastbeitrag von Roland Geres
Die Emissionen der Industrie in Deutschland sind im Vergleich zu 1990 stark gesunken, stagnieren jedoch in den letzten Jahren. Erst seit 2019 sind auch in der Industrie wieder rückläufige Emissionen feststellbar. Da die Emissionen der Energiewirtschaft insbesondere auch in den letzten beiden Jahren sehr stark gesunken sind und mit dem Kohleausstieg weiter sinken werden, steigt der Anteil industrieller Emissionen an den Gesamtemissionen in Deutschland.
Daraus folgt, dass auch in der energieintensiven Industrie, mehr Aktivität bei den Unternehmen und verbesserte Rahmenbedingungen nötig sind.
Am Bedarf für Klimaschutz gibt es keinen Anlass zu zweifeln, daran ändert auch die aktuelle Corona-Krise nichts. Auch wenn niemand weiß, wie lange die aktuelle Situation anhält und wie tief die wirtschaftlichen Einschnitte ausfallen: Bereits jetzt ist erkennbar, dass „Verzicht auf wirtschaftliche Aktivität“ trotz damit verbundener deutlicher Emissionsrückgänge sicher nicht der richtige Weg im Klimaschutz ist. Erkennbar ist auch, dass die zu erwartenden Konjunkturprogramme der EU und vieler Mitgliedsstaaten das Thema „Klimaschutz“ aufgreifen werden, der „Green Deal“ kann „nach Corona“ erst Recht zum „Deal“ werden. Das ist auch gut so. Ein Grund mehr für Unternehmen, sich darauf möglichst gut vorzubereiten.
„Die Industrie“ gibt es so nicht, das gilt auch innerhalb der energieintensiven Industrie. Zu unterschiedlich sind Branchen und Unternehmen innerhalb einer Branche. Deshalb kann es kein generelles Rezept dafür geben, Emissionen aus industriellen Prozessen möglichst schnell und weit abzusenken ohne Bestand und Zukunft der Unternehmen und ihrer Produktionen in Europa zu gefährden. Mit Blick auf vorhandene Motivationen von Industrieunternehmen lassen sich trotzdem einige generelle Schlussfolgerungen ziehen und auch Beispiele benennen.
In der energieintensiven Industrie beginnt die Reform des EU-Emissionshandels zu wirken. Die Einführung des nationalen CO2-Preises über den Brennstoffemissionshandel verstärkt dies. Hinzu kommt die Erwartung weiter steigender Anforderungen in der EU mit weiterer Ausgestaltung des Green Deals.
Das sehr deutliche Sinken der kostenlosen Zuteilungen ab 2021, der erhebliche Preisanstieg sowie die dauerhafte Löschung großer Teile des bisherigen Überschusses haben trotz hoher Volatilität dazu geführt, dass der Frage, wie Emissionen abgesenkt werden können, mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als etwa noch 2015: Ein wirksamer Preis für Emissionen löst in der Industrie Minderungsanstrengungen aus. Eine klassische betriebswirtschaftliche Motivation, geht es doch um Kostenreduktion und manchmal auch Realisierung von Erlöspotenzialen. Die Bereitschaft nimmt deutlich zu, noch bestehende, oft bereits im Rahmen des Energiemanagements identifizierten, Effizienzpotenziale zu heben. Gleiches gilt für Brennstoffwechsel und Integration erneuerbarer Energien in die Wärmeproduktion, sei es direkt oder über H2-Routen. Auch das Interesse an Abwärmenutzung und -auskopplung für Wärmenetze nimmt zu, auch ein Beitrag zur „Sektorkopplung“.
Nein. Die genannten Beispiele deuten das schon an: Strombasierte Lösungen brauchen wettbewerbsfähige Strompreise, für nutzbare Abwärme muss es auch Abnehmer im Gebäudebestand geben und Akzeptanz für meist nötige bauliche Maßnahmen bei Anwohnern. Immer wichtiger werden auch Anreize aus klassischen Förderungen, insbesondere Zuschüsse.
Der operative Kostendruck durch CO2-Preise ist wichtig, alleine erklärt er noch nicht die erkennbar gestiegene Bereitschaft zu Aktivität. Hierfür sind weitere Motivationen wichtig. Schon die Anfrage eines wichtigen Kunden, doch den Carbon Footprint des Produktes offenzulegen, hat erste Wirkungen. Kommen dann noch substanziellere Anfragen von Investoren zu Chancen und Risiken und der „Klimaperformance“ dazu, wird Klimaschutz unternehmerisch aufgewertet. Der gesellschaftliche Druck und die dauerhafte Präsenz des Themas in den Medien zeigt natürlich auch politisch Wirkung und beeinflusst so auch Erwartungen in der Industrie und in ihren Belegschaften.
Das alles treibt dann auch weitergehende Aktivitäten im Mittelstand, bei großen Unternehmen und Verbänden.
Natürlich bleiben nur auf den ersten Blick „unspannende“ Themen wie die weitere Steigerung der Effizienz oder die möglichst schnelle und nachhaltige Steigerung der Anteile erneuerbarer Energien auch bei Industrieprozessen wichtig, auch hier wirken staatliche Fördermechanismen. Produkt- und Prozessdesignfragen – Stichwort Circular Economy – gewinnen an Bedeutung – dies beinhaltet auch Innovationen und Chancen.
Besonders wichtig ist es, sich in Erinnerung zu rufen, wie „Klimaneutralität“ im Pariser Klimaschutzabkommen und jetzt auch im Entwurf des „EU-Klimaschutzgesetzes“ definiert ist: Langfristig darf nur noch so viel emittiert werden, wie an anderer Stelle der Atmosphäre entzogen wird – durch technische oder natürliche Senken.
Dies ist ein wichtiges Handlungsfeld gerade für die energieintensive Industrie in der EU und Deutschland. Es wird erkennbar, dass grundlegende technologische Innovationen eine Chance haben, Realität zu werden und neue industrielle Verbünde und Wertschöpfungen möglich sind. Als aktuelle Beispiele seien genannt: In der Grundstoff-Chemie die Methanpyrolyse, durch die Wasserstoff aus Erdgas hergestellt werden kann – der dabei frei werdende Kohlenstoff steht als Feststoff stofflichen Nutzungen zur Verfügung, z.B. in der Stahlerzeugung. Oder, in umgekehrter Richtung, das Projekt Carbon2Chem, an dem u.a. Covestro, Linde und Thyssen beteiligt sind – hier soll CO2 aus der Primärstahlerzeugung als Rohstoff für die Chemieindustrie verfügbar werden.
Diese branchenübergreifenden Beispiele sind ermutigend. Aber: Bis komplett neuartige Prozesse auch wettbewerbsfähig einsetzbar sind, werden trotz staatlicher Unterstützung oft noch Jahre vergehen. Und: die technologischen Alternativen für die emissionsintensiven Grundstoffindustrien beruhen häufig auf direkter Stromutzung oder Wasserstoff, seinerseits ebenfalls überwiegend mit Strombedarf erzeugt. Der Bedarf für verfügbaren Strom aus erneuerbaren Energien wird so vervielfacht. In einer Studie, die wir 2019 zusammen mit der Dechema im Auftrag des VCI angefertigt haben, kommen wir unter den dort gesetzten Annahmen zu dem Ergebnis, dass bei konstanter Produktion eine fast vollständig treibhausgasneutrale Chemieindustrie in Deutschland bis 2050 technisch und wirtschaftlich möglich ist. Aber: Dafür würde mehr als das 10-fache des derzeitigen Stromverbrauchs der Branche (derzeit 54 TWh/a) aus erneuerbaren Energien benötigt. Klar, dass das nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Und es liegt auf der Hand, dass dann Importe von Strom aus erneuerbaren Energien benötigt werden. Und nicht in allen Sektoren „nur“ auf grünen Strom gesetzt werden kann. Ein Kleinwagen verbraucht nun mal weniger Energie als ein schweres Fahrzeug.
Und nun? Wird uns das alles jetzt zu schwierig? Nein, es ist keine Option, die Emissionsreduktionsziele 2030 nicht zu erreichen. Es ist auch keine Option, auf industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu verzichten – das ist weder sozial durchhaltbar noch trägt es zum Klimaschutz bei, weil uns niemand auf diesem Weg folgen würde.
Es entscheidet sich in den nächsten Jahren, welchen Pfad wir einschlagen. In der Industrie sind grundlegende Innovationen erforderlich, für die noch Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig ist. Wichtig in den nächsten Jahren ist deshalb auch eine konsequente Steigerung der Effizienz sowie eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien in der Industrie. Das steigende Interesse an direktem Engagement – sei es über eigene Anlagen, Beteiligungen an Windparks oder PPAs – zeigt, dass hier Potenziale für den Ausbau von Erzeugungskapazitäten liegen. Der bestehende regulatorische Rahmen in Deutschland behindert dies teilweise, etwa bei der heutigen Strompreiskompensation. Er muss verändert werden. Die notwendige Transformation der Wirtschaft ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Das muss sich auch in der Finanzierung der „Energiewende“ niederschlagen. Die Basis hierfür ist zu verbreitern und sollte nicht – wie bisher – vor allem über Umlagen, Abgaben und Entgelte für Strom erfolgen.
Es ist richtig, einen Mix an Instrumenten zu wählen, eines alleine wird es nicht richten, auch nicht der Emissionshandel. Richtig ist es auch, endlich mit der Bepreisung von Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor zu beginnen, und die dort erzielten Erlöse zur Finanzierung anderer Maßnahmen zu verwenden (u.a. auch die Absenkung der EEG-Umlage).
Es sollte auch erwähnt werden, dass es höchste Zeit wird, den natürlichen Senken weit mehr Beachtung zu schenken als dies bisher der Fall war – international und innerhalb Deutschlands. Auch im Zusammenhang mit „Klimaneutralitätspfaden“ und dafür genutzten Kompensationsmechanismen.
Auch wenn das Programm nicht perfekt ist: Der angelegte Mix und die Absicht, eine möglichst breite Akzeptanz zu erhalten, verdient nicht nur die meist dominierende Kritik. Die grundsätzliche Ausgestaltung kann Ausgangspunkt für einen breiten Konsens sein, der Bestand hat. Ohne diesen Konsens wird es nicht die hinreichende Stabilität in den Rahmenbedingungen geben, die für große Investitionen in der Industrie eine notwendige Voraussetzung sind. Aktuelle Stimmen, aus dem Klimaschutz kommende Belastungen für Unternehmen wegen Corona undifferenziert „auszusetzen“, sind da nicht hilfreich.
Roland Geres ist Geschäftsführender Gesellschafter von FutureCamp. Das 2001 gegründete Unternehmen mit Sitz in München bietet mit rund 30 Mitarbeitern strategische Beratung und operative Dienstleistungen an rund um das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz für Unternehmen, Bundesministerien und Bundesländer.