Mangels verfügbarer öffentlicher Mittel wehrt sich die Energiebranche zusehends gegen „unsinnige“ Kostenfaktoren. „Superwichtig“ sei zudem eine schnelle Entscheidung zur Kraftwerksstrategie.
Ein recht kämpferischer Robert Habeck war – nicht zuletzt vor dem Hintergrund jüngst bekannt gewordener rechtspopulistischer oder gar deutlich rechter Abschottungsphantasien im aktuellen politischen Diskurs – zu erleben auf dem Handelsblatt Energiegipfel, dem wichtigen Branchentreff in Berlin. „Dümmer als zu sagen, Deutschland soll aus der EU, aus dem Binnenmarkt, aus dem Strombinnenmarkt raus, kann man Politik nicht denken“, so der grüne Bundeswirtschafts- und -klimaschutzminister, der für seine Worte prasselnden Applaus der Energiemanager im Saal erntete. Viele Kapazitäten, die bereitgestellt worden seien, auch um die Energiekrise abzuwehren, würden nun gar nicht in dem Maße abgerufen, wie es möglich wäre, „das heißt, viele Kohlekraftwerke, die wir in den Markt gebracht haben, produzieren gar nicht so viel Kohlstrom – das hat auch damit zu tun, dass der EU-Markt funktioniert“, so Habeck. „Wenn wir eine Insel wären, könnten wir uns durchaus selbst versorgen, allerdings zu höheren Preisen – es ist doch gut, dass der europäische Markt funktioniert“, hielt er den Kritikern des supranationalen Systems entgegen. Die Importe lägen bei 2 Prozent des deutschen Stromverbrauchs, der Anteil von Atomstrom aus Frankreich oder Schweden an den Importen bei ungefähr einem Viertel. „Das ist nichts, was wir nicht auch bereitstellen könnten, aber wenn die Windenergie aus Skandinavien günstiger ist, oder auch wegen der CO2-Zertifikate der Atomstrom über die Grenzen fließt, wollen wir uns da abschotten?“ Das könne „nicht ernsthaft die Antwort sein, die wir geben: der Markt muss offen sein“, strich Habeck als „eine der Grundlagen der deutschen Politik“ heraus.
Mit Blick auf künftige Importbedarfe verwies Habeck zugleich auf die Bedeutung der Investitionen in Dekarbonisierung. „Etwa 70 Prozent der Energieverbräuche in Deutschland importieren wir, Steinkohle, Gas, Öl.“ Wenn die Dekarbonisierung, wie politisch angestrebt, umgesetzt werde, müsste Deutschland 2045 ohnehin nur noch rund 30 Prozent importieren – „vor allem grünen Wasserstoff, vielleicht auch blauen Wasserstoff“. „Das heißt auch – und das muss man gegen die Summen rechnen, die wir jetzt zu investieren haben –, dass die Geldaufwendungen ‚im Land‘ Rendite erzielen werden, dass wir nicht den Herkunftsländern unsere Euros überweisen, sondern wir sowohl resilienter wie auch volkswirtschaftlich robuster dastehen.“
Beim aktuellen Branchen-Topthema, der erhofften baldigen Vorlage einer Kraftwerksstrategie der Bundesregierung, seit langem von der Energiewirtschaft gefordert, zeigte sich Habeck aufgeschlossen. Medien hatten zuvor spekuliert, es könnte eine Entscheidung in der Sache unmittelbar bevorstehen. Die Bundesregierung hatte bereits vor etwa einem Jahr einen Lösungsvorschlag angekündigt, wie angesichts zunehmend volatiler Einspeisung grundlastfähige Gas- bzw. H2-Kraftwerke angereizt werden könnten. „Dann kam das Haushaltsurteil dazwischen, und wir mussten erstmal andere Sachen erledigen – jetzt sind wir wieder da, wo wir waren. Ich hoffe, dass wir jetzt zügig zu einem Ergebnis kommen“, so Habeck auf dem Berliner Podium.
Zur Frage, wie Kraftwerksanreize konkret aussehen könnten, ließ sich Habeck abringen, „die Idee“ sei zum einen, „dass man einen Teil der Capex-Kosten, nämlich den Teil, der sich nicht am Markt rechnet, bezuschusst sowie einen Teil der Opex-Kosten – damit die Gaskraftwerke zumindest eine gewisse Stundenzahl im Jahr laufen“, so Habeck. Es gehe zunächst darum, „Erfahrungen sammeln“ zu können mit den Anlagen. Mit Blick auf die Kosten stelle sich die Frage, „wie teuer – annahmegestützt – Wasserstoff sei und wie hoch der CO2-Preis, etwa im Jahr 2035“. Dann komme es noch darauf an, „wieviel Stunden sie laufen, wieviel Kapazität man darüber schafft“, so der Minister.
Ab Ende der 30er Jahre würden keine neuen Zertifikate im Emissionshandel mehr ausgegeben und der Bestand nur noch reduziert. „Das heißt, erst Kohle, dann Gas, Öl natürlich auch, werden irgendwann aus dem Markt gedrängt“, so Habeck. Mit Blick auf die H2-Kraftwerke wisse man „aber auch, dass Technik sich nicht automatisch nach einer Markterwartung entwickelt, sondern am Anfang gefördert werden muss – wir sind gut beraten, Kraftwerke schon einmal laufen gelassen zu haben, bevor diese Phase eintritt“, so der Minister.
Auch Trianel-Chef Sven Becker verwies am Rande des Energie-Gipfels darauf, dass in den letzten zehn Jahren kaum etwas an gesicherter Leistung zugebaut worden sei. „Bei solchen Anlagen, da ist das Marktrisiko und auch das regulatorische Risiko einfach zu hoch“, so Becker, „Gaskraftwerke werden immer weniger Stunden laufen. Man müsse sich „dann allein in diesen wenigen Stunden refinanzieren“. Becker betonte, dass die Politik 2016 mit dem Strommarktgesetz und dem Festhalten am Energy Only-Markt genau hierauf gesetzt habe. Doch letztlich könne das nicht funktionieren. „Wir haben im letzten Jahr mit der Abschöpfung von den so genannten Übergewinnen gesehen, dass die Politik Preisspitzen nicht aushält, sondern in den Markt eingreift“, so der Trianel-Chef, auch wenn dies in einem anderen Zusammenhang geschehen sei.
TenneT-Chefin Manon van Beek verknüpfte in Berlin ihr Drängen auf eine schnelle Entscheidung in Sachen Kraftwerksstrategie mit einem Lob für den zuletzt deutlich fortgeschrittenen Erneuerbaren-Ausbau sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland. „Das ist nicht zu stoppen – aber in einem solchen System mit immer mehr Sonne und Wind, ist es wichtig, ist es superwichtig, dass wir die Kraftwerksstrategie bekommen“, so van Beek. Auch für TenneT sei der Zubau gesicherter Leistung der einzige Weg, das Stromsystem am Laufen zu halten. „Wir müssen noch in diesem Winter zu einer Entscheidung kommen“, macht die TenneT-Chefin Druck. Sollten die politischen Entscheidungen jetzt schnell folgen, sei der Bau der Anlagen bis zum Ende des Jahrzehnts noch machbar.
Auch 50Hertz-Chef Stefan Kapferer betonte mit Verweis auf knappe Fristen für den Kraftwerksbau darauf, „wir haben ja noch eine Bauphase“. Zudem gehe er „sicher“ davon aus, dass nochmals die Debatte aufflammen werde, wo die Anlagen regional angesiedelt werden sollen. Mit Blick auf die Gefahr einer womöglich sachwidrigen Allokation der H2-Erzeugung räumte Kapferer ein, dass etwa das Vorhandensein eines ÜNB-Anschlusses, eines Gasnetzanschluss oder die künftige Vorortung am H2-Kernnetz die Standortwahl beeinflussen könnten. „Aber klar ist, wir brauchen – nicht nur, aber überwiegend – zusätzliche Kapazitäten in Süddeutschland“, so Kapferer. „Und wenn die nicht kommen, dann haben wir mit dem Kohleausstieg 2030 ein Problem.“
Insbesondere im Nachgang der Haushaltskrise geisterten angesichts knapper staatlicher Kassen überdies weitere Sparideen durch die Podien des Energiegipfels. „Alles muss auf den Prüfstand, forderte etwa E.ON-Chef Leonhard Birnbaum in Berlin. „Die Systemkosten gehen nach oben, die Finanzierungskosten gehen nach oben, die Infrastrukturkosten gehen nach oben“ – zugleich gehe aber „die Fähigkeit des Staates, das alles mit Geld zuzudecken, nach unten“. Das sei teils vielleicht „sogar gut – wenn es uns gelingt, uns auf sinnvollere Aktivitäten zu konzentrieren“ und, so Birnbaum, „Unsinn zu unterlassen“. Derweil fokussiert sich die Debatte zunehmend auf eine mögliche Abkehr von der im Vergleich zur Freileitung teureren Erdverkabelung großer Energiewende-Netzprojekte. „Wir sind in der Diskussion, ob wir bei Vorhaben aus dem Netzentwicklungsplan auf Freileitungen wechseln, es geht um 20 Milliarden Euro Einsparpotenzial, das wir errechnet haben“, betonte Kapferer. Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller, der sich in dieser Frage grundsätzlich offen zeigte, gab indes zu bedenken, dass die Akzeptanz des Netzausbaus – womöglich auch wegen des Erdkabelvorrangs – leicht gestiegen sei, was er u.a. an einer rückläufigen Klagerate gegen seine Behörde festmachte. „Das sind industrielle Vorhaben, aber man sieht sie vielleicht etwas weniger als Freileitungen – ich bin den drei ÜNB dankbar, die sich engagiert in diese Diskussion eingebracht haben, ein vierter ist skeptisch“, fasste Müller den Stand der Dinge zusammen. Die Debatte sollte aus Müllers Sicht nun vor allem mit den Kommunen und der Bevölkerung im ländlichen Raum zügig geführt werden. „Wir haben die Beschleunigungsgesetze sehr ernst genommen und sind inzwischen soweit, dass wir in unserem Verantwortungsbereich ein Drittel bis zur Hälfte schneller sind als in der Vergangenheit“, so Müller. Und das habe seine Behörde „natürlich jetzt für die Trassen, die in der Diskussion sind, auch schon forciert“. Man sei bereits in den Beteiligungsverfahren, „und wenn wir das jetzt korrigieren sollten, weil die Politik sagt, sie will lieber Freileitungen statt Erdkabel haben“, dann müsse das möglichst schnell entschieden werden, so Müller.
50Hertz-Chef Kapferer verwies in Sachen Kostenoptimierung darauf, dass „es eine „Legende“ sei, dass die Investitionen in die Netze der Haupttreiber der Netzentgelte sind. Dass die Netzgebühren heute bei 6,4 Cent je kWh lägen, beruhe zum einen vor allem auf „extrem hohen Redispatch-Aufwendungen“, verursacht durch Netz-Engpässe. Zugleich müsse man für diese Redispatch-Maßnahmen sehr hohe Strompreise bezahlen. Bei einer jüngsten bedeutenden Ertüchtigungsmaßnahme in Hamburg habe 50Hertz nach drei Monaten die Hälfte der Investitionskosten reingespielt über eingesparte Redispatchkosten, so Kapferer. „Das ist nicht überall so deutlich wie dort, aber es zeigt, dass Investitionen in Digitalisierung uns am Ende helfen, die Netzentgelten runterzukriegen.“
Chef-Regulierer Müller will unterdessen mit Blick auf die Digitalisierung – auf Basis der neuen Kompetenz-Zuweisung durch den Bundesgesetzgeber in Reaktion auf das Regulierungs-Urteil des EuGH – die Anreizregulierung „auf den Prüfstand stellen“ und u.a. „über einen Energiewende-Kompetenz-Bonus nachdenken“. Es handele sich dabei „von Reguliererseite um das Angebot, Digitalisierung, Standardisierung, Beschleunigung in die Anreizregulierung zu übernehmen“, so Müller. Die Netzbranche müsse freilich immer auch auf Kosteneffizienz achten – aber ja, in der digitalen Neuausrichtung und der Beschleunigung liege eine große Chance, so Müller.