Der deutsche Kapitalmarkt sei „schon fast zu klein für das, was die Energiewende“ braucht, war zudem auf dem BDEW Treffpunkt Netze zu hören. Die neue BNetzA-Autarkie indes sorgt für Verunsicherung.
Die geopolitischen Beben dieser Tage – nach dem Ukrainekrieg nun der Angriff, mit dem die palästinensische Hamas Israel überrumpelt hat – warfen ihre Schatten auch auf das zentrale Treffen der Energienetzbranche in diesem Jahr, den BDEW Treffpunkt Netze 2023 in Berlin. Das Treffen finde vor „sehr ernstem Backround“ statt, wie etwa 50Hertz-Chef Stefan Kapferer formulierte – und das habe natürlich Auswirkungen auf die Energiebranche. „Tatsache ist, dass wir plötzlich ganz andere Themen haben, die im Fokus der Politik stehen“, so der Chef des vornehmlich in Ostdeutschland tätigen Übertragungsnetzbetreibers. Vor allem außenpolitische, geostrategische Themen drängten in den Vordergrund. „Es droht ein bisschen, dass wir aus dem Fokus der Politik geraten“, richtete Kapferer das Wort an die versammelten Netz-Manager. In Zukunft könne „das knappe Budget der öffentlichen Hand auch für ganz andere Zwecke gebraucht werden als für die Erreichung unserer Ziele bei der Klimaneutralität“.
Allerdings schätzte der 50Hertz-Chef den politischen Fokuswechsel „nicht allein als Risiko“ im Sinne eines „Liebesentzugs“ ein: „Es ist vielleicht auch eine Chance“ – ob Gasnetz oder Stromnetz, ob Verteil- oder Übertragungsnetz bzw. Ferngasleitung, „wir trauen uns schon zu, dass wir vieles selber hinbekommen, was notwendig ist, um Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 zu gewährleisten“, wandte sich Kapferer gegen eine zu starke politisch-rechtliche Durchformung der anstehenden Netztransformation. In diesem Zusammenhang stufte er auch den früher für den Netzausbau als ‚Bottleneck‘ wahrgenommenen Genehmigungsstau als weitgehend beseitigt ein – zumindest aus Übertragungsnetz-Sicht, so Kapferer: Im Gegenteil „drohen wir als ÜNB in Kürze von einem Genehmigungs-Tsunami erschlagen zu werden, wenn Klaus Müller (der Präsident der Bundesnetzagentur, die Red.) das erreicht, was er öffentlich ankündigt“. Insbesondere 2024 und 2025 seien „ganz viele Genehmigungen“ zu erwarten. „Wir haben heute bei 50Hertz schon so viele Baustellen in Betrieb wie nie zuvor in der Geschichte des Unternehmens“, warnte Kapferer. Vor diesem Hintergrund stimme es ihn auch eher sorgenvoll, dass sich die Koalition im Energiebereich „derzeit vor allem wieder mit Planungsbeschleunigung“ beschäftige.
Als zentrales Transformations-Hemmnis sieht Kapferer indes die Frage der künftigen „Akzeptanz der Finanzierung“ des Netzumbaus bzw. Netzausbaus. „Ich glaube wirklich, es ist das Geld“, so Kapferer. Es gehe darum, „ob überhaupt so viel Kapital am Markt verfügbar ist, wie wir brauchen“. 50Hertz etwa nehme derzeit einen einstelligen Milliarden-Betrag am Kapitalmarkt auf, um aktuelle Projekte zu finanzieren – und ein solcher Umfang stehe in Zukunft jedes Jahr an, so der Unternehmens-Chef. Er sieht diese Problematik sowohl im Übertragungs- als auch Verteilnetzbereich: „Wasserstoff-Kernnetz, die Backup-Kapazitäten, die grünen H2-Kraftwerke, die gebaut werden müssen, das wird alles Geld kosten“, so Kapferer, der darauf verwies, dass diese Investitionen zudem im Wettbewerb mit Investitionen etwa der Immobilien- oder anderer Branchen stünden. Auch enercity-Finanzchef Marc Hansmann betonte, der „deutsche Kapitalmarkt ist schon fast zu klein für das, was die Energiewende, die Wärmewende braucht“. In der Folge müsse beispielsweise „mit den großen französischen Banken“ verhandelt werden, „die um ein Vielfaches größer als die Deutsche Bank“ seien, so Hansmann, der nebenbei bei den Netzunternehmen anmahnte, wichtig sei, dafür international parkettsicheres Verhandlungs-Personal aufzubauen und ein entsprechendes „Mindset“ in den Unternehmen zu schaffen.
Kapferer riet mit Blick auf den genannte Kostenberg, stärker in den Blick zu nehmen, dass es „ganz viele Dinge gibt, die durchaus vermeidbar sind“. Es sei teilweise absurd, was bei den großen Gleichstromtrassen ablaufe – „wir verbuddeln für Milliarden Kabel in der Erde, die dann, wenn sie ausfallen, drei Wochen nicht verfügbar sind“, so Kapferer. Dies koste ein Vielfaches der Freileitung. Bei den in der Genehmigung steckenden Projekten SuedLink, SuedOstLink und NordOstlink sei das nicht mehr zu ändern. Diskutieren müsse man aber über weitere geplante Gleichstromtrassen – „allein für die drei Projekte im neuen Netzentwicklungsplan geht es um 16 bis 20 Milliarden Euro an Mehrkosten, das kann das Land auf Dauer nicht bezahlen“, so Kapferer.
Den Bogen schlug Kapferer von den globalen Finanzierungsfragen zum aktuellen Finanzierungs-Kernthema der Netzbranche, dem Eigenkapitalzins – in Verbindung mit der künftig neuen, gestärkten Rolle der Bundesnetzagentur. Die Behörde soll, angestoßen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshof, in Kürze auf Basis einer anstehenden EnWG-Änderung in eine stärkere Eigenverantwortung überführt werden und dann aus eigener Kompetenz heraus u.a. über die Verzinsung von Netzinvestitionen entscheiden. „Das Kapital kann heute in US-Zehn-Jahres-Staatsanleihe für über 5 Prozent angelegt werden, man kann eine RWE-Anleihe kaufen für 4,25 Prozent – warum soll eigentlich jemand ins Netzgeschäft investieren, wenn er woanders eine ähnliche Verzinsung erhält, die Anlage aber morgen ohne Probleme am Kapitalmarkt wieder verkauft werden kann“, warf Kapferer die Frage nach der Attraktivität und damit der Energiewende-Eignung des EKZ im Rahmen der Netzregulierung auf. „Österreich gewährt inzwischen einen EK-Zins von über 9 Prozent“, so der 50Hertz-Chef. Deutschland sei „mittlerweile Schlusslicht bei der EK-Verzinsung“. Mit Blick auf einen Kernkritikpunkt der Branche bei der Verzinsung, der Ungleichbehandlung von Bestands- und Neuinvestitionen, rechnete Kapferer vor, dass die Kosten für einen Durchschnittshaushalt im nächsten Jahr um 50 Cent pro Monat stiegen, würde man den Bestand gleichwertig zu den Neuanlagen verzinsen. „Mir kann niemand erklären, dass die Geschwindigkeit der Energiewende nicht 50 Cent im Monat für einen Privathaushalt zulassen“, spitzte Kapferer zu.
Tiefer in die Regulierungs-Details stieg bei seiner Kritik Netze BW-Chef Christoph Müller auf dem Berliner Podium ein. Er sehe „wenige Themen, bei denen die Bundesnetzagentur inhaltlich so angreifbar“ sei wie beim EK-Zins, und verwies dazu auf – aus seiner Sicht – konkrete ökonomische Fehlstellungen bei der Verzinsung. „Falsch“ sei etwa, ein so genanntes „Capital Asset Pricing Model (CAPM) mit zwei unterschiedlich risikolosen Zinssätzen“ für den EKZ in Ansatz zu bringen. Insbesondere gelte das, „wenn der eine risikolose Zinssatz auf dem zehnjährigen Durchschnitt von Bundesanleihen beruht und der andere auf einem 123-jährigen Durchschnitt aus risikolosen Zinssätzen aus der ganzen Welt“, so Müller, bei welch letzterem Belgien und die Schweiz das gleiche Gewicht hätten wie die USA und Deutschland – „der also unplausibel“ sei. Allein diese aus seiner Sicht falsche Weichenstellung mache in der Festlegung „gut über 1 Prozentpunkt Unterschied“ für die Netzrendite, so Müller. Hans-Jürgen Brick, Chef des Übertragungsnetzbetreibers Amprion, sekundierte, er befürchte, dass solch falsch eingestellte Stellschrauben beim EKZ über die Kapitalproblematik zu „ersten Diskussionen“ führen könnten, die die Klimaziele mangels Erreichbarkeit in Frage stellten. Müller plädierte angesichts dieser Kritikpunkte dafür, „dass die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur mit einem ökonomischen Expertenrat begleitet“ werde.
Die in Sachen Regulierung angesprochene und auf dem Berliner Podium vertretene Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, Barbie Kornelia Haller, versicherte der Branche, ihre Behörde sei sich bewusst, „wie wichtig die EK-Verzinsung“ für die Netzbetreiber sei. Sie griff in diesem Zusammenhang die Debatte um die künftige Unabhängigkeit der Behörde auf. „Sorgen aus der Branche, die Bundesnetzagentur sei mit der Entscheidung des EuGH und der Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber in irgendeiner Weise nicht mehr kontrollierbar“, halte sie für unbegründet. Sie sehe vielmehr die Behörde „nun noch viel stärker der Beobachtung ausgesetzt“, so Haller, die zudem darauf verwies, das der BNetzA nach der neuen Konzeption ein politischer Beirat zur Seite gestellt werde, der besetzt ist mit Bundestagsabgeordneten und Vertretern der 16 Länder. „Denen berichten wir ohnehin schon in regelmäßigen Abständen – und das sind intensive Diskussionen“, betonte Haller. Sie sieht die Kernaufgabe des Beirats darin, „uns klarzumachen, wo sind die politischen Punkte, an denen es diffizil werden könnte“ – ein „Spiegeln mit der Politik“, formulierte es Haller. Sie verwies zudem darauf, dass „die gerichtliche Überprüfung“ des Behörden-Handelns künftig „in einer viel größeren inhaltlichen Tiefe geschehen“ werde – bislang war der Behörde hingegen ein recht weites Regulierungsermessen zugebilligt worden. Man werde, so Hallers Fazit, künftig „eben anders kontrolliert, und das ist auch so gewollt“.
Ganz wohl, das zeigte sich in Berlin, ist der Branche indes noch nicht mit der künftigen Behörden-Autarkie. „Die Sorge eines regulierten Unternehmens ist natürlich: Wo sind die „Checks und Balances?“, gab etwa Netze BW-Chef Müller zu bedenken – „Wo ist das Korrektiv?“ Als Beispiel für ein unter dem alten Regime aus Netzer-Sicht gelungenes Zusammenspiel der Behörde mit dem Parlament nannte er die Einführung des Regulierungselements des so genannten Kapitalkostenabgleichs. „Wenn wir uns erinnern, die Behörde war damals sehr dagegen – damals gab es aber das Regulativ des Gesetzgebers, der den Kapitalkostenabgleich auch auf Drängen der Branche am Ende eingeführt hatte.“
Es ist, wie es ist – Behörden-Vizechefin Haller verwies letztlich darauf, dass die Unabhängigkeit des Regulierers „in ganz Europa Standard“ sei, „insofern ist das, was wir in Deutschland machen, lediglich ein Nachziehen“. Am Ende räumten aber auch die Netzbranchen-Vertreter ein, dass das nun kommende „Mehr“ an Freiheitsgraden in einem „so dynamischen Umfeld wie der Energiewende auch ein Chance“ biete, so Netze BW-Chef Müller, der etwa darauf verwies, dass eine jener von ihm zuvor gebrandmarkten risikolosen Zinsreihen beim EKZ bislang eben per Verordnung festgeschrieben sei. „Davon könnte sich die Behörde nun lösen“, so Müller. Auch Amprion-Chef Brick sieht „jetzt in der Unabhängigkeit eine echte Chance, dass wir gemeinsam schneller werden“.
Einen Rüffel ersparte Regulierungsbehörden-Vizechefin Haller der Branche am Ende indes doch nicht. Einen jüngsten kontrovers diskutierten Anwurf von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aufgreifend, forderte sie von der in Deutschland weitverzweigten Netzbranche mehr kooperative Effizienz. „Es gibt in andern Ländern stärker die Nutzung von Datenplattformen, vielleicht können Datenströme auch zusammengefasst werden“, so Haller. Auch „in der Beschaffung von Kabeln und Anlagen könnten die Verteilnetzbetreiber zusammenarbeiten“, um „Dinge möglicherweise zu beschleunigen“. Haller kündigte an, sie sehe „viele Punkte, mit denen der Regulierer hier Anreize setzen kann“.