Fast alle Energieversorger oder Erneuerbaren-Anbieter suchen derzeit „händeringend Mitarbeiter auf allen Ebenen“, so Personalmanagement-Expertin Regina Harms. Welche Profile hervorstechen und wie Arbeitgeber bei der Suche punkten können, verrät sie im EID-Interview.
EID: Noch vor einiger Zeit war im Zuge neu aufkommender Geschäftsmodelle vor allem der schleppende „Kulturwandel“ – nicht zuletzt durch Akquise neuer „Köpfe“ – in den Energieunternehmen ein beherrschendes Thema. Zuletzt ist eher der Fachkräftemangel das große Thema. Vorab gefragt, wo drückt in der Energiebranche der Schuh aktuell am meisten, in den Managerriegen, bei den IT- oder Technologie-Fachkräften oder am Ende bei den Installateuren? Gibt es ein, zwei veranschaulichende Zahlen zum Ausmaß der personellen Bedarfe?
Regina Harms: Bei den Energieversorgungsunternehmen hat natürlich die Energiewende die höchste Priorität auf der Agenda. Das bedeutet nichts anderes als die Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 nach Vorgabe für Deutschland. Der Trend bei den großen EVU geht dahin, noch vor diesem Stichtag als klima-positives Unternehmen zertifiziert zu sein. Das funktioniert einzig über die Erschließung und Nutzung aller verfügbaren umweltfreundlichen Technologien für alle Versorgungsbereiche: Strom, Wärme, Verkehr. Allein hier haben Führungskräfte also alle Hände voll zu tun. Hinzukommt, dass das Thema Digitalisierung mittlerweile seinen festen Platz im Tagesgeschäft gefunden hat und dementsprechend stets präsent ist. Daher werden Führungskräfte und Fachkräfte mit Digitalisierungskompetenz in fast allen Energieunternehmen dringend gesucht. Ebenso ist aktuell die Suche nach Fachkräften mit Background in innovativen Energielösungen fast überall ein Thema.
Wir haben zwar bei Boyden selbst keine Erhebungen durchgeführt hinsichtlich des Ausmaßes an Bedarf, aber man kann sagen, dass nahezu alle EVU und Anbieter Erneuerbarer Energien derzeit händeringend Mitarbeiter auf allen Ebenen suchen. Wir beobachten, dass vor allem – gewerbliche – Fachkräfte für die Bereiche Elektrik, Netze, Infrastruktur, Ausführung und Fachkräfte in Vertrieb, Digitalisierung, Data Analytics und Innovationsmanagement gesucht werden. Daneben Ingenieure und Ingenieurinnen für die Entwicklung und Weiterentwicklung neuer Technologien. Nahezu alle Suchaufträge für Manager in der Branche haben auch die Vorgabe, Führungskräfte zu finden, die Insider sind, also die Branche kennen und über strategische Weitsicht und Unternehmergeist verfügen, um jetzt die richtigen Entscheidungen für ihr Unternehmen zu treffen. Ziel ist hier nicht nur die Klimaneutralität im Blick zu behalten, sondern auch Manager an Bord zu holen, die den Sinn für erfolgreiche Geschäftsmodelle mitbringen und mit Mut, Entschlossenheit sowie klugem Handeln vorgehen. Sie können sich also vorstellen, dass aufgrund der Fülle der Aufgaben, mit denen sich die Energiebranche gerade konfrontiert sieht, der Personalbedarf aktuell sehr hoch ist und die Unternehmen sich entsprechend aufstellen – auch auf Top-Management-Ebene.
EID: Ein großes Thema für die Energiebranche ist derzeit allerdings die nicht kalkulierbare politische Situation. Unklare Rahmenbedingungen bringen Planungsunsicherheit, in welche innovative und regenerative Kraftwerkstechnologie investiert werden soll ...
Regina Harms: Das ist korrekt und wird auch von uns beobachtet. Allerdings wissen viele Unternehmen, dass sie sich ein langes Abwarten nicht leisten können und reagieren trotz der ein oder anderen Unsicherheit mit dem Anpassen ihres Personals. Erschwerend kommt bei einigen Unternehmen hinzu, und das ist nicht unmittelbar spezifisch für die Energiebranche, dass die Organisationen ein aufkommendes Fehlen von Führungs- und Kommunikationskompetenz bei den Führungskräften, insbesondere den Nachwuchsführungskräften, feststellen. Dies resultiert zum einen aus der Demografie, zum anderen auch aus den Auswirkungen von Corona mit den Lockdowns und der damit verbundenen virtuellen Führung, die in vielen Fällen nicht gut funktioniert.
EID: In der Energiebranche ist die Energiewende das beherrschende Thema. Sind es tatsächlich hauptsächlich die „grünen“ und „smarten“ Trend-Technologien, für deren spezifische Umsetzung Personal gesucht wird, also die Bereiche erneuerbare Energien, Elektrolyse, Elektromobilität, Wärmepumpe oder etwa der smarte Netzausbau?
Regina Harms: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist für das übergeordnete Ziel der Klimaneutralität extrem wichtig. Aktuell boomen unter anderem die Photovoltaik-Projekte. Hier braucht es das sachkundige Fachpersonal für die Planung und Umsetzung der Projekte, einschließlich des Netzanschlusses.
Und ja, insbesondere die smarten Technologien stehen im Vordergrund: Die Erfassung, Harmonisierung und Auswertung von Daten, um über digitale Plattformen immer flexiblere Lösungen für Smart City-Konzepte oder dynamische Produkte und Stromtarife für Endkunden anzubieten, erfordert die richtigen Manager mit einer Vision und das Fachpersonal, das über die analytischen Fähigkeiten und IT-Skills verfügt.
Da viele unterschiedliche Techniken zum Einsatz kommen, werden jeweils auch Fachkräfte mit spezifischen technischen Kenntnissen gesucht, ob Infrastruktur, Geothermie, PV, Windkraft, Biomasse oder auch die Nutzung industrieller Abwärme oder Flusswärme. Diese Vielfalt erfordert Experten auf allen Ebenen – vom Top-Management bis zur Umsetzung –, die diese Technologien weiterentwickeln und zu nutzen wissen.
EID: Viele Versorger fangen mangels Verfügbarkeit an, nicht „Personal“ aufzubauen, sondern sich ganze Installationsbetriebe, etwa im Bereich Photovoltaik, einzuverleiben, um Projekt-Fristen garantieren zu können. Verfestigt sich aus Ihrer Sicht dieser Trend?
Regina Harms: Das ist auf jeden Fall ein Trend, der auch mir täglich begegnet. Viele Stadtwerke kaufen zum Beispiel Tiefbauunternehmen, um ihre Aufträge und Projekte auch im Leitungs- bzw. Infrastrukturbereich umsetzen zu können, andere kaufen oder kooperieren mit Installationsbetrieben oder Service-Providern.
Auch der Zusammenschluss von Anbietern zu Win-Win-Gemeinschaften nimmt stark zu. EVU-Unternehmen konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen und ergänzen ihre Portfolios durch Kooperationen mit Anbietern in den Bereichen Smart Metering, E-Mobility, Smart Home, IT-Dienstleistung, etc.
EID: Welche Profile werden vertriebsseitig gesucht – Versorger bieten nicht mehr nur Strom und Gas an, sondern viele smarte oder grüne Kundenlösungen?
Regina Harms: Insbesondere im B2B-Segment werden Vertriebsmanager gesucht, die nah am Kunden sind, viel genauer in der Auswertung von Daten vorgehen und über hohes fachliches Know-how hinsichtlich der unterschiedlichen Themen in der Energiewirtschaft verfügen, damit sie die richtigen Fragen stellen können, um anschließend die passenden Lösungen für und mit dem Kunden zu finden. Das bedeutet, ausgeprägte Kenntnisse über energiewirtschaftliche Prozesse, Markt- und Datenorientierung, konzeptionelles und analytisches Denkvermögen, hohe Lösungsorientierung, gepaart mit hoher IT-Affinität. Wer also über diese Expertise verfügt und Talent im Vertrieb zeigt, hat gute Aussichten auf entsprechende Jobangebote – egal auf welcher Ebene man sich befindet.
EID: Werden durch die Digitalisierung der Vertriebs-Prozesse bestimmte Betriebsebenen womöglich auch obsolet? Wie kann intern darauf reagiert werden?
Regina Harms: Gerade die Unternehmensbereiche Vertrieb und Kundenservice profitieren zunächst von den Innovationen und Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt. Die Digitalisierung bietet eine hervorragende Basis für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, Produkte bzw. Leistungen sowie für die kundenorientierte Kommunikation. Interaktive Portale und Social Media erlauben eine schnelle Reaktion auf Kundenanfragen und Wünsche – was die Kunden schließlich auch immer mehr erwarten. Durch Chats sind sogar Echtzeit-Reaktionen möglich. Standardprozesse können durch Digitalisierung effizienter gestaltet werden. Maßgeschneiderte Lösungen erfordern allerdings insbesondere im B2B-Bereich eine stärkere Fokussierung des Vertriebs auf die Inhalte und energiewirtschaftliches Fachwissen.
Ja, es kann in den Unternehmen Verschiebungen geben. Ob komplette Ebenen deswegen aber entfallen werden, ist eine Frage der Strategie und Aufstellung der Unternehmen. Die möglicherweise durch die Digitalisierung freiwerdenden Arbeitskapazitäten könnten anderweitig eingesetzt werden, so zum Beispiel in der Produktentwicklung oder Data Analytics, also in Bereichen, die an Bedeutung gewinnen und wo hoher Personalbedarf besteht.
EID: Wie bzw. wo werden die dringend Gesuchten Fachkräfte oder Manager an- bzw. abgeworben. Typischerweise – neben Berufseinsteigern – bei der Konkurrenz oder blickt man auch auf andere Branchen oder Quereinsteiger, die auf den ersten Blick wenig mit den Energiefachthemen zu tun haben?
Regina Harms: Für die technischen bzw. energiespezifischen Bereiche werden Spezialisten gesucht, die aus der Branche kommen. Hier genügt je nach Level manchmal schon ein eher kurzfristiger Erfahrungshorizont bei entsprechender technischer Fokussierung, die dann „on the job“ weiter ausgebaut wird. Führungspositionen werden fast ausschließlich mit Branchenkennern besetzt, idealerweise aus dem eigenen Unternehmen.
Auch für die nicht energiespezifischen Positionen werden Experten gesucht, die tiefgehendes Fachwissen mitbringen, zum Beispiel im Bereich Data Analytics. Dies kann dann gern in anderen Branchen erworben worden sein – hier ist insbesondere die Automotive- oder Telekommunikationsbranche zu nennen.
Der Einsatz von Personalberatungen erfolgt nicht nur auf Top-Level, sondern bereits für Spezialistenpositionen. Hier werden teilweise auf diese Funktionen spezialisierte Dienstleister eingesetzt. Vielfach erfolgt das Recruiting auch durch interne Social Media-Kanäle, um die richtigen Talente anzusprechen.
EID: Wie können sich Energieunternehmen als Arbeitgeber – auf den verschiedenen Mitarbeiter-Ebenen – attraktiver machen, um Manager oder Fachkräfte –womöglich auch aus dem Ausland – für sich zu gewinnen?
Regina Harms: Ich habe in unzähligen Gesprächen mit Branchenakteuren eine Sache immer wieder gehört, die ich gerne mit Ihnen teile: Unternehmen legen sich einen entsprechenden Unternehmenspurpose zu, geben also einen Sinn und Zweck ihres Handelns für Mitarbeiter und Manager aus. Der Claim „Wir werden klimapositiv bis 2040/2045“ könnte ein solcher sein. Das Arbeiten an einem gesellschaftlich ambitionierten Ziel wie der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit spricht viele junge Menschen an. EVU können mit der Vermittlung eines glaubwürdigen Purpose bereits heute ihre – durchaus vorhandene – vielfältige Arbeitskultur mit hohem technologischem und ethischem Anspruch sowie sinngebenden Jobs besser in den Vordergrund stellen.
Auch eine moderne Arbeitsplatzausstattung, die Möglichkeit für hybrides Arbeiten, Teamorientierung und Mitgestaltungs- sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten, steigende Internationalisierung in den Märkten und flexible Arbeitszeitmodelle kennzeichnen attraktive Arbeitsplätze im Energiesektor.
Aus den Gesprächen mit internationalen Top-Managern geht oft hervor, dass eine echte Vielfalt an energiewirtschaftlichen Technologien und Innovationen und vor allem die bereits genannte steigende Internationalisierung sehr anziehend für dieses hochumworbene Klientel sind.
EID: Frau Harms, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Boyden Global Executive Search ist eine der führenden Personalberatungen mit mehr als 70 Büros in über 45 Ländern und wurde 1946 vom Pionier der Direktansprache, Sydney Boyden, in New York gegründet. In Deutschland ist Boyden seit 1983 mit 26 Partnern in Büros in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Stuttgart und München vertreten und deckt somit alle für die deutsche Wirtschaft relevanten Märkte ab. Neben seinen Executive Search- und Leadership Consulting-Lösungen bietet Boyden über Boyden Interim Management passgenaue Interimslösungen an.