Im H2-Kernnetz sollen Elektrolyseure, Importpunkte, Speicher, Verbrauchsschwerpunkte und Kraftwerke vernetzt werden. Finanziert werden soll der Aufbau anfangs über ein „Hochlaufentgelt“.
Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Wasserstoffnetzen in Deutschland werden wohl bald in Kraft sein. Es ist allerdings nicht immer einfach, zwischen dem so genannten Wasserstoffkernnetz, der gemeinsamen Entwicklung von Gas- und Wasserstoffnetzen und den Finanzierungsfragen noch den Überblick zu behalten. Zumal die rechtlichen Grundlagen sich alle im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wiederfinden und wiederfinden sollen. Dabei überlagern sich die verschiedenen jüngsten Novellen und werden im Verlaufe des Verfahrens dann wieder konsolidiert. Im Folgenden soll diese Gemengelage in einem Überblick sortiert werden.
Das Wasserstoff-Kernnetz
Am weitesten gediehen sind die rechtlichen Vorgaben zum Wasserstoff-Kernnetz. Die Diskussionen über ein visionäres Wasserstoffnetz, Startnetz oder nun Kernnetz werden aber auch schon seit mehr als drei Jahren geführt. Zum einen, weil in allen Diskussionen über einen Wasserstoff-Markthochlauf immer klar war, dass dies ohne eine Pipeline-Infrastruktur kaum gelingen kann. Und zum anderen, weil die Fernleitungsnetzbetreiber (FNBs) schon sehr früh erkannt haben, dass ihr zukünftiges und nachhaltiges Geschäftsmodell nur im Betrieb von Wasserstoffleitungen liegen kann. Im vergangenen Jahr sahen sie dieses Geschäftsmodell dahingehen, weil im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sehr intensiv eine staatliche Wasserstoffnetzgesellschaft diskutiert wurde. Gegen diese Staatsgesellschaft haben sich die FNBs am Ende des Tages erfolgreich gewehrt. Im Mai dieses Jahres wurde dann der Referentenentwurf einer Änderung des EnWG bekannt, der Regelungen zum „Wasserstoff-Kernnetz“ enthält. Was in dem Entwurf für die FNBs essenziell war: Ihnen wird eindeutig die Aufgabe überantwortet, „zeitnah“ ein Wasserstoffkernnetz zu schaffen. Schon drei Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen sie der BNetzA einen gemeinsamen Antrag für ein solches Kernnetz vorlegen – in der finalen Form des Gesetzes kann diese Frist auf vier Monate verlängert werden. Der Gesetzesentwurf definiert die Kriterien, denen Leitungen genügen müssen, die Teil dieses Kernnetzes bilden werden. Damit sollen Elektrolyseure, Importpunkte, Speicher, Verbrauchsschwerpunkte und Kraftwerke miteinander verbunden werden. In dem Entwurf steht auch, dass für das Wasserstoff-Kernnetz sowohl Leitungen von der Erdgasnutzung umgewidmet werden als auch neue Leitungen gebaut werden können. Am 10. November hat der Bundestag diese Regelungen, die in einem Paragrafen zusammengefasst sind, als Teil einer größeren EnWG-Novelle verabschiedet. Der Bundesrat hat am 24. November zugestimmt.
Schon am 14. November hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden des FNB Gas, Thomas Gößmann, den finalen Entwurf des Kernnetzes der Presse präsentiert. Der FNB Gas ist der Verband der Fernleitungsnetzbetreiber. Er koordiniert die Planungen. Gößmann ist im Hauptberuf Vorsitzender der Geschäftsführung von Thyssengas, einem der FNBs. Bis Ende 2032 sollen exakt 9.721 Kilometer Wasserstoffleitung gebaut werden, davon werden 5.050 Kilometer von der Erdgasnutzung umgestellt. Die Gesamtinvestitionen betragen 19,8 Milliarden Euro. Die Ausspeisemenge beträgt insgesamt 279 TWh, mehr als das doppelte der von der Bundesregierung bis 2030 maximal anvisierten Wasserstoffnutzung in Deutschland von 95 bis 130 TWh für 2030. Wobei in der Menge Wasserstoffderivate wie Ammoniak oder Methanol enthalten sind – sowie der heute schon bestehende Bedarf an „grauem“ Wasserstoff. Der soll dann zu einem erheblichen Teil auf die grüne oder blaue Variante umgestellt sein. Der mit Abstand größte Teil der Nachfrage soll gemäß den Planungsannahmen aus dem Kraftwerkssektor kommen. 157 TWh Wasserstoff werden gemäß den FNB-Planungen 2030 in Kraftwerken verbrannt werden. Das Kernnetz wird häufig als „politisches Netz“ oder Netz mit „politischen Komponenten“ bezeichnet, weil alle Bundesländer angeschlossen sind (siehe Abbildung).
Warum konnten die FNBs so schnell einen Entwurf vorlegen? Weil sie eben schon seit Jahren mit zunehmender Konkretisierung an dem Thema arbeiten. Schon im Juli hatten sie einen ersten Planungsstand für das Kernnetz vorgelegt. Geschwindigkeit ist aus Sicht der FNBs notwendig, damit beim Wasserstoffmarkthochlauf etwas passiert. Deshalb haben die FNB schon am 15. November der BNetzA informell ihren Antrag übermittelt. Warum informell? Weil das Gesetz formal noch gar nicht in Kraft ist. Aber auch die BNetzA wird das Tempo mit aufnehmen. Schon zum 8. Januar will sie ihre Konsultationen beenden. Ziel ist eine Genehmigung des Kernnetzes im ersten Halbjahr 2024, damit dann „die Bagger rollen können“, wie es Gößmann bei der Pressekonferenz mit Habeck ausdrückte. Was in den Regelungen zu dem Kernnetz fehlte, waren Hinweise zur Finanzierung. Dies war und ist aber für die FNBs ein ganz entscheidender Punkt, um den zwischen den Netzbetreibern und den Vertretern des BMWK über Monate intensiv verhandelt wurde.
Die Finanzierung soll grundsätzlich privatwirtschaftlich erfolgen, das heißt, die Netzentgelte sollen die Kosten der Netze decken und für die Betreiber eine ausreichende Verzinsung des eingesetzten Kapitals sicherstellen. Das Entgelt wird von der BNetzA festgelegt, der auch die Kostenkontrolle der FNBs obliegt. Da die Netze anfangs gering ausgelastet werden, wäre ein kostendeckendes Entgelt in der Phase sehr hoch und könnte den Markthochlauf verzögern oder gefährden. Deshalb soll anfangs ein niedrigeres „Hochlaufentgelt“ gelten. Die Differenz zwischen den Erlösen und der von der BNetzA genehmigten Erlösobergrenze wird auf einem Amortisationskonto verbucht. Dieses Konto soll zu einem definierten Zeitpunkt durch die in den späteren Marktphasen höheren Entgelte wieder ausgeglichen werden. Für die Netzbetreiber war in den ganzen Diskussionen entscheidend, dass die Finanzierung des Netzes kapitalmarktfähig ist, damit ihre Anteilseigner das notwendige Kapital zur Verfügung stellen. Die Bedingungen müssten denen bei den Investitionen in die Stromübertragungsnetze entsprechen, hatten Vertreter der FNBs wiederholt als Benchmark genannt. Um dies zu gewährleisten, wurde vor allem über zwei Dinge verhandelt: Die Höhe der Verzinsung auf das eingesetzte Eigenkapital und die Höhe eines möglichen Selbstbehaltes, wenn am Ende der Laufzeit das Amortisationskonto anders als erwartet nicht ausgeglichen ist – also der Anteil, den die Netzbetreiber an diesem finalen Ausgleich tragen müssen. Am 3. November wurde ein Referentenentwurf mit den nach den langen Verhandlungen vom BMWK vorgeschlagenen Regelungen veröffentlicht. Auch diese Regelungen werden – gesondert – in das EnWG eingefügt. Es wird danach ab dem Jahr 2025 ein bundeseinheitliches „Hochlaufentgelt“ geben, das von der Bundesnetzagentur festgelegt wird. Das Amortisationskonto soll Ende 2055 abgerechnet werden. Der Selbstbehalt der Abrechnung beträgt 24 Prozent. Allerdings kann das Konto durch das BMWK ab 2039 jährlich gekündigt werden, wenn abzusehen ist, dass der Wasserstoff-Markthochlauf nicht funktioniert. Der Selbstbehalt reduziert sich mit jedem Jahr einer vorzeitigen Abrechnung um 0,5 Prozent. Die Eigenkapitalverzinsung beträgt einheitlich für neue und umzustellende Leitungen 6,69 Prozent vor Steuern, so lange durch die BNetzA keine andere Festlegung getroffen wird. Abschließend zufrieden sind die FNBs noch nicht. Man sei sich in vielen Punkten einig, sagte Gößmann bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Habeck. Aber für eine abschließende Bewertung der Kapitalmarktfähigkeit seien noch einige Punkte zu klären. Am 15. November hat das Kabinett die „Finanzierungs“-Novelle des EnWG verabschiedet, nun hat der Bundestag das Wort.
Fehlt noch eine letzte Komponente. Habeck sagte bei der Pressekonferenz mit der ihm eigenen bildhaften Sprache, das Kernnetz seien die Autobahnen, zusätzlich müssten Bundesstraßen und Landstraßen gebaut werden. Auch dazu liegt ein gesetzlicher Regelungsvorschlag vor. Wie könnte es anders sein, auch dies muss im EnWG geregelt werden. Der Entwurf ist vom 12. Oktober. Um es gleich vorwegzunehmen, auch dieser Vorschlag wurde am 15. November vom Kabinett verabschiedet. Ab 2025 soll eine gemeinsame Netzentwicklungsplanung für Gas und Wasserstoff eingeführt werden. Im Rahmen dieser Planung können dann auch Verteilnetzbetreiber ihren Bedarf anmelden. Der Planungsprozess wird ähnlich sein, wie bei der aktuellen Gasnetzplanung. Allerdings soll, anders als bisher, die Modellierung einheitlich erfolgen. Bei den Szenarien für die Netzentwicklung müssen zudem stärker als bisher die klima- und energiepolitischen Ziele der Bundesregierung berücksichtigt werden.
Bei der Präsentation des Kernnetzes und auch bei einer Konferenz anlässlich des zehnjährigen Geburtstags des FNB Gas herrschte schon eine gewisse Euphorie über das Kernnetz. Mit dem großzügig dimensionierten Kernnetz komme man „vor die Kurve“, löse das Henne-Ei-Problem und werde zum Vorreiter in Europa, lauteten die Kommentare und Einschätzungen. Aber die mögliche Anpassung der Förderbedingungen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) wird vermutlich von größerer Bedeutung für die Marktentwicklung sein und könnte euphoriedämpfend wirken. Vermutlich ist die Finanzierung des Netzes selbst nicht gefährdet. Aber abschließende Bewertungen will in Berlin im Moment niemand zu gar nichts abgeben.